Gößling, Andreas
seinem Golem auf die Knie warf.
Er zog eine Gänsefeder aus seinem Wams, denn eine Adlerfeder hatte er in der Eile nicht auftreiben können. Aber er ahnte bereits, dass es darauf nun auch nicht mehr ankam. Wütend stach er sich das spitze Ende des Federkiels in den Daumen, dass das Blut nur so hervorspitzte. Er tunkte die Feder hinein und kritzelte auf die Stirn seines Golems mit bebender Hand Ammanth .
Dann ließ er Feder, Hände und Kopf sinken und verharrte so minutenlang auf dem schmutzigen Boden, in einer Pfütze aus gewöhnlichem Kräuter- und Fliegendreck, aus Wasser, Blut und Hexenlehm. »Nun, ich hab’s probiert«, murmelte er auf sein missratenes Geschöpf hinab. »Und bin gescheitert und will folglich unser beider Schicksal in die Hände von Meister Justus geben.«
Er riss seinem Golem Kopf, Arme und Beine ab und schob alles wieder zu einem unförmigen Batzen zusammen. Dann machte er sich daran, das Labor aufzuräumen. »Nichts Verdächtiges soll der Herr Lohenkamm morgen vorfinden, auch nicht an seinem Famulus«, murmelte Julian, der zwischenzeitlich ein seltsames Muschelding aus seinem Brustbeutel hervorgezogen hatte und es ratlos zwischen den Fingern drehte. »Nichts will ich mir anmerken lassen bis zum Abend , Mabrosilat«., murmelte er, »wenn ich von hier weggehe, Mabrosilat, auf Nimmerwiedersehen, um dem Großmächtigen Meister meine Dienste anzutragen und den Batzen – Mabrosilat.«
63
Marian kam zu sich, das Talmibro noch in der Hand. Ir gendwas stimmte nicht, das spürte er sofort.
Er saß auf einem Mauerbrocken, mit dem Rücken an eine Turmzinne gelehnt. Über sich nur den dämmrigen Abendhimmel – und irgendwo da unten im Ruinengemäuer ein Rascheln und Scharren wie von schleichenden Schritten.
Die Hexenweiber? Er musste zurück zu Billa! Sie saß bestimmt noch in ihrem Versteck und ahnte nichts von der Gefahr, die sich um sie herum zusammenbraute.
Aber wenn er jetzt nach unten rannte, riskierte er erst recht, dass ihnen Sina und die anderen auf die Spur kamen.
Für seinen Kurztrip zu Julian hatte sich Marian in den Turm zurückgezogen, in dem damals der Famulus warten musste, während Meister Justus und die Lichtträger über seine Aufnahme in die Bruderschaft berieten. Ein rundes Gemäuer mit schmalen Schießscharten, die Wände mindestens einen Meter dick. Im Innern gab es nur eine Wendeltreppe, die zu einer Kammer auf halber Höhe führte. Von dort ging es über eine schadhafte Holztreppe bis zur Spitze des Turms hinauf, eine zinnengeschmückte Plattform, die einen prachtvollen Ausblick auf die Schlossruine und den verwilderten Park bot. Bis nach Croplin hinunter konnte man von hier aus alles überblicken – auch den gewundenen Waldweg, der vom Al ten Stadttor zum ehemaligen Jagdschloss heraufführte.
Aber Marian hatte die letzte halbe Stunde im Jahr 1676 verbracht und deshalb natürlich auch nicht gesehen, wer da 333 Jahre minus 9 Stunden später vielleicht den Waldweg hochgeschlichen kam.
So leise wie irgend möglich stand er auf und schaute zwischen zwei Zinnen hindurch zum Schlosshof hinab. Doch er konnte nichts Verdächtiges entdecken – nur Bäume und Sträucher, die zwischen den geborstenen Pflastersteinen emporwuchsen, und den verschlammten Springbrunnen, in dem außer Fröschen schon lange nichts mehr sprang. Und ringsum Ruinengemäuer mit unzähligen höhlenartigen Kellerlöchern, in denen sich ganze Hexenhorden leicht verbergen konnten.
Während Marian von Zinne zu Zinne schlich und in Hof und Park hinunterspähte, legte er sich rasch einen Plan zurecht. Er musste zu Billa hinab – aber ohne dass irgendwer ihm dorthin folgen konnte. Ohne irgendwen auf sich aufmerksam zu machen, mussten sie ihr ganzes Zeug zusammenraffen und mit Sack und Pack in diesen Turm umziehen – nur hier waren sie halbwegs in Sicherheit. Unten gab es sogar eine uralte Tür, die sich von innen mit einem klobigen Eisenriegel verrammeln ließ. Es war ihre einzige Chance, die fünf Tage zu überstehen, bis sie es wagen konnten, noch einmal zum Drachenmaul zu gehen. Die einzige Möglichkeit, Billa so lange vor den Hexenweibern abzuschirmen. Denn Klotha und die anderen würden nichts unversucht lassen, um Billa wieder unter ihren Einfluss zu bringen – das wurde Marian immer klarer, während er auf das Rascheln und Scharren da unten im Schlosshof lauschte.
Zu sehen war nach wie vor niemand, und länger zu warten hatte wenig Sinn – mit Macht brach nun die Nacht herein.
War es nicht sowieso
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