Gößling, Andreas
sagte er, »wenn wir in sechs Tagen zusammen ins Hexenholz gehen.«
»In sechs Tagen?«, wiederholte sie.
»Alte Magierweisheit: Wenn du eine große Aufgabe vollbringen willst, musst du dich fünf Tage lang drauf vorbereiten.« Er grinste sie an. »Erste Pflicht: ab Tag eins keusch leben. Zweite Pflicht: ab dem dritten Tag nichts mehr essen. Dritte Pflicht: ab dem fünften überhaupt nichts mehr zu dir nehmen – nicht mal mehr klares Wasser.«
Er stand auf, schob seine Hände in die Taschen, die endlich nicht mehr mit Ketten und Medaillon vollgestopft waren. Nur das Talmibro steckte da immer noch und vor seiner Brust hing schwer und mächtig das Pentagramm.
»Mann, Marian, wo willst du denn schon wieder hin?«
Er schaute auf sie runter, immer noch grinsend. »Ich will’s dir nur leichter machen – ich meine, mit der ersten Pflicht.« Er winkte Billa zu und sprintete schon los, auf den ehemaligen Wehrturm zu, in dem Julian mal eine ganze Nacht festgesessen hatte. »Bin gleich wieder da – dauert höchstens ’ ne halbe Stunde.«
Wenn es irgendwie zu machen wäre, dass der Famulus wieder in so einem Turm eingesperrt würde, bis die ganze Golem-Sache vorbei ist, dachte Marian, ich wäre auf der Stelle dabei.
62
Es war zwei Uhr in der Nacht und doch ging es im Apo thekerlabor lebhafter zu als sonst am helllichten Tag. Auch der Famulus fühlte sich so wach und beschwingt wie eigentlich niemals, wenn er auf Befehl des Herrn Lohenkamm Kräuter häckseln, Wurzeln raspeln, Tinktu ren zusammenkochen musste. Dabei machte er im Grunde nichts anderes als sonst – nur kochte er heute keinen Schlafbalsam und auch kein Verjüngungselixier. Stattdessen bereitete er die Pulver vor, aus denen gleich die dämonischen Dämpfe aufsteigen sollten.
Ich kenn Ihn nicht wieder, hatte am Abend die Jungfer geklagt. Und um die Wahrheit zu sagen: Es ging Julian selbst nicht viel anders. Wie der prächtige Schmetterling aus der unscheinbaren Raupe hervorgeht – genauso hatte er sich über Nacht von dem täppischen Famulus in einen kühnen und mächtigen Magier verwandelt.
Davon war er selbst jedenfalls überzeugt, während er Alraun hackte und Schwefelpulver hinzugab. Wie sonst wäre beispielsweise die Dreistigkeit zu erklären, mit der er vorhin seinem Golem den Weg vorgebahnt hatte? Ganz unten in seiner Truhe verwahrte er seit Jahr und Tag ein getrocknetes Zweiglein vom Traumstrunk – einer kostbaren Arzneipflanze, mit der man sich nur einmal über Mund und Nase streichen musste, um für viele Stunden in tiefen Schlaf zu sinken.
Sich selbst – oder auch anderen Personen, von denen man nicht behelligt oder gar ertappt werden wollte. Ebenso wie gewissen holden Maiden, denen man ein we nig Blut abzuzapfen plante.
Gegen Mitternacht war Julian in die Schlafkammer seines Lehrherrn geschlichen. Gar mächtig schnarchend hatte dort der Herr Lohenkamm neben seiner ebenso ge waltig sägenden Gemahlin gelegen. Für alle Fälle war der Famulus dennoch zu ihrem Bett gehuscht, hatte mit dem Traumwurz da über Maul und Nüstern, dort über Lippen und Nase gestrichen – und dann auf Zehenspitzen weiter zu Jungfer Hildegunde.
Niemals vorher war er bei Nacht in der Kammer seiner Liebsten gewesen. Nie war sie ihm schöner erschienen als gerade heute um Mitternacht, wie sie im Mondschein vor ihm lag. Wie ihr Busen sich im Schlaf gehoben und gesenkt, wie sie in süßen Träumen geseufzt und gelächelt hatte – waren es Träume von ihm, ihrem über alle Maßen wunderbaren Julian?
Abermals hatte er den Traumwurz hervorgenestelt, der Jungfer das Näschen und den lieben Schmollmund bestrichen – und dann husch hinab ins Labor.
Beinahe zwei Stunden lang hatte er emsig alles vorbereitet, was er laut Elisha Asmol benötigte, um die Dämonen Astometh und Ohyrion herbeizuzwingen. Auch eine Lehmpuppe hatte er aus dem Hexenlehm bereits geknetet – viel kleiner zwar als die Figuren des Großmächtigen Meisters und weit weniger kunstfertig, als es die Schmiede-Brüder vermochten. Aber dort lag sie, auf dem Kellerboden neben dem Apothekerherd – wohl eine Elle lang, mit Gliedmaßen wie Siedewürste und einem Kopf, der nach Form und Maßen einem Bratapfel glich.
Nun musste er nur rasch noch einmal hinauf zu Jungfer Hildegunde, mit Nadel und Fingerhut. »Bormi …« Julian schüttelte sich und biss die Zähne zusammen. Nein, dachte er, auf gar keinen Fall. »… latus …« Nicht gerade jetzt!
Der Famulus konnte sich zwar nicht im Geringsten er klären,
Weitere Kostenlose Bücher