Gößling, Andreas
Pentagramm-Anhänger überwerfen. Aber dieser Schutzzauber war höchstwahrscheinlich viel zu stark: Er würde Sylvenia vielleicht sogar auf einen Schlag aus Billa herauskatapultieren – aber nur mit ihrer Hexenkraft hatten sie eine Chance, die Golems unschädlich zu machen.
Also blieb nur die letzte Möglichkeit. Auch die missfiel Marian – er konnte überhaupt nicht einschätzen, wie sich dieses magische Mittel auf Billa auswirken würde. Trotzdem musste er sich dafür entscheiden – und zwar jetzt, auf der Stelle, bevor das Hexenbiest außer Kontrolle geriet.
»Hey, Billa«, murmelte er. Seine Stimme klang gepresst. Er hatte einen fetten Klumpen im Hals – aber er durfte jetzt auf keinen Fall die Nerven verlieren. Sanft flüsterte er auf sie ein und sie fauchte und funkelte ihn hasserfüllt an. Doch sie ließ es zu, dass er sich auf seinen Knien zentimeterweise näher zu ihr heranschob. »Billa – ich bin’s doch nur«, flüsterte er, riss sich eins der Schutztücher von den Schultern und warf es ihr über den Kopf.
Sie schrie auf, fauchte, schlug und trat um sich, aber Marian hielt das Tuch über ihrem Kopf fest. Er achtete nur darauf, dass er ihr nicht wehtat und sie ihm nicht die Augen auskratzen konnte. Ansonsten begnügte er sich damit, das Tuch festzuhalten, wie verzweifelt sie sich auch wehrte, und leise auf sie einzureden.
»Billa, beruhig dich«, murmelte er, als sie durch das Wehrtuch in seine Hand biss. »Billa, ich bin’s doch – Marian«, flüsterte er und sie trat ihm mit voller Kraft gegen das Knie. Mehrere Kerzen fielen um und erloschen. »Billa, denk an Jakob!«, keuchte Marian, und da hörte sie mit einem Schlag auf, gegen ihn und das Schutztuch anzukämpfen.
Nebeneinander fielen sie auf das Moosbett. Billa schluchzte leise unter ihrem schwarzen Schleier und auch Marian spürte ein hässliches Brennen in seiner Kehle, hinter den Augen. Eine ganze Weile lagen sie einfach da, sagten nichts, dachten nichts, atmeten nur krampfhaft aus und ein.
Als Billa sich schließlich aufrichtete, das Tuch vor ih rem Gesicht wegzog, waren die Flämmchen in ihren Augen wieder erloschen. Billa war wieder Billa – keine Spur mehr von der boshaften Katzenfratze, in die sie durch Sylvenia verwandelt worden war.
»Danke, Marian«, sagte sie und fiel ihm um den Hals. »Ich weiß gar nicht, wie ich das jemals wiedergutmachen kann.«
»Ich wüsste schon was«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Aber damit müssen wir noch warten. Denk an die erste Pflicht.«
Sie mussten beide lachen, aber er hatte es trotzdem ernst gemeint. Damit sie überhaupt eine Chance hatten, von ihrer Expedition zum Hexenhügel heil zurückzukommen, mussten sie sich so sorgfältig vorbereiten, wie es die Magier aller Zeiten in solchen Fällen gemacht hatten.
»Wir ziehen in den Turm«, sagte er und zeigte ihr die Silhouette des Gemäuers, das ihre neue Wohnstatt darstellen sollte. »Da verbarrikadieren wir uns so lange, bis wir für den großen Kampf bereit sind.«
Billa war sofort einverstanden. Sie warfen sich die Schutztücher über und sammelten ihre Habseligkeiten ein. Als Tyram mit der Kalesche durch die Luft davongejagt war, war alles, was Billa hinter dem Kutschsitz verstaut hatte, hinausgewirbelt worden. Sie nahmen jeder eine Kerze und leuchteten im Gestrüpp herum, bis sie sämtliche Keks- und Chipspackungen, Saft- und Wasserflaschen wiedergefunden hatten. Zuletzt schleppten sie alles zum Turm hoch. Marian verriegelte die Tür und sie stiegen bis ganz nach oben, zur Plattform unter dem Sternenhimmel.
Mitternacht war schon nah. Und ich hab Linda wieder nicht Bescheid gesagt, dachte Marian, dass ich nicht im Hotel übernachte. Schuldbewusst zog er sein Handy hervor und schrieb ihr zumindest noch eine SMS. ich schlaf bei billa, meld mich morgen. lg marian
Billa hatte währenddessen ihre sämtlichen Decken auf dem Boden übereinander gestapelt. Das ergab ein halbwegs bequemes Nachtlager – nicht ganz so komfortabel wie das Moosbett, aber besser als Julians verwanztes Strohlager war es allemal.
Verdammt, Julian, dachte Marian. Den Famulus hatte er ja über dem ganzen Hexenspuk völlig vergessen. Morgen musste er unbedingt noch mal zu ihm rüber. Dieser verrückte Freak konnte doch nicht einfach mit seinem Hexenlehm zu Meister Justus gehen – das durfte er einfach nicht. Aber er wird’s trotzdem machen, sagte sich Marian, und ich kann ihn so wenig dran hindern, wie Bil la vorhin irgendetwas gegen Sylvenia ausrichten
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