Gößling, Andreas
den Hals. »Nur keine Bange, Sweetheart«, sagte sie. »Dein Burgfräulein bleibt so lange brav auf ihrem Söller hier oben hocken und wartet, bis ihr Ritter von seinen Abenteuern zurück ist.«
Er beugte sich zu ihr rüber und zog ihr das Wehrtuch tiefer in die Stirn. »Sei vorsichtig, Billa. Lass auf jeden Fall die Amulette und das Tuch an.«
Sie schloss halb die Augen und stülpte ihm ihre Lippen entgegen. Beinahe hätte er sie geküsst – aber da fiel ihm gerade noch rechtzeitig ihre erste Pflicht ein. »Keusch bleiben, Darling«, sagte er und grinste sie an. »Morgen kommt auch noch die zweite Pflicht dazu – vielleicht sollten wir uns heute noch mal so richtig die Bäuche vollschlagen?«
»Gute Idee«, stimmte Billa zu. »Der Keks- und Chipskram steht mir bis hier.« Mit der flachen Hand zog sie eine Linie zwanzig Zentimeter über ihrem Kopf. »Aber bevor du mich aus diesem Turm rauslässt, muss ich mir bestimmt noch 33 Amulette basteln, stimmt’s?«
»Mindestens, und sie dann auch an dich dranhängen«, sagte Marian. »Klirren sollst du, Liebste, damit das Biest in dir kirre bleibt, bis wir beim Drachenmaul sind.«
»Mann, Marian, ’ ne dichterische Ader haste auch noch.«
»Magierpoesie.«
66
Das Bündel mit seinen Habseligkeiten geschultert, schlich sich der Famulus in der Abenddämmerung aus dem Haus. Gehab Sie sich wohl, Jungfer Hildegunde, dachte er. Gräm Sie sich nur nicht zu sehr – ich werde ja bald schon wiederkehren. Und wie strahlend dann, wie unbesiegbar! Der Herr von Lohenkamm wird sich mir zu Füßen nie derwerfen vor Dankbarkeit, dass ich seine Tochter zur Gemahlin erwähle. Gedulde Sie sich nur ein Weilchen, Hildegunde – dann werden Ihr die Augen übergehen!
So fabulierte der Famulus vor sich hin, während er sich durch die Seitentür nach draußen stahl. Mit gesenktem Kopf hastete er die Herrengasse hinab. Habe ich auch alles wohlbedacht?, überlegte er.
Augenblicklich keifte seine innere Stimme zurück: Niemals in deinem Leben hast du etwas Idiotischeres gemacht, du vollkommen durchgedrehter Famulus!
Julian schüttelte bekümmert den Kopf. Er würde nun geradewegs zum Hegendahl’schen Gutshaus gehen, da konnte sein Gewissen schreien, so viel es wollte. Den Lehmbatzen vom Hexenhügel trug er, in einen alten Lappen gewickelt, unter seinem Hemd. Es sah aus, als ob er neuerdings einen Schmerbauch hätte – gottlob hatte ihn Hildegunde so nicht gesehen.
Ach, holde Maid!
Er beschleunigte seine Schritte. Doch sein Gewissen ließ sich auf diese Weise natürlich nicht abschütteln. Was glaubst du denn, zeterte es in Julians Kopf, was der Großmächtige Meister mit dir anstellen wird, wenn du ihm den Hexenlehm übergeben hast?
Er wird mir seine ewige Dankbarkeit versichern, antwortete Julian würdevoll. Er wird mich vom Rang des Raben geradewegs zum Lichtträger erheben. Er wird mir alles offenbaren, was er an magischem Wissen besitzt. Den Golem werden er und ich zusammen erschaffen – und gemeinsam werden wir die Herren dieses mächtigen Werkzeugs sein.
Unter solchen Gedanken bog er bereits in die Straße Am Bannwald ein. Na klar, höhnte derweil sein Gewis sen, dankbar wird dir Meister Justus ganz bestimmt sein – aber auf seine Art! Sobald er den lebenskräftigen Lehm von dir bekommen hat, wird er dich in seinem Verlies einkerkern – zum Zeichen seiner Dankbarkeit! Den Golem wird er allein erschaffen, oder vielleicht auch zusammen mit dem Ritter und den beiden Schmieden – aber du wirst nicht der Herr dieses Golems, sondern sein erstes Opfer sein. Julian, verdammt noch mal – jetzt bleib doch wenigstens mal einen Augenblick stehen! Denk nach! Weshalb um alles in der Welt sollte Meister Justus sein Wissen, seine Macht, seine Herrschaft über Erde und Menschen mit dir nichtsnutzigem kleinen Famulus teilen, gerade mit dir? Jetzt sei doch nicht gleich wieder beleidigt! Verrate mir lieber: Warum sollte er das tun?
Tatsächlich war der Famulus stehen geblieben, genau gegenüber dem Hegendahl’schen Gutshaus. Weil … weil … n a, weil Meister Justus ein gerechter Mann ist, dachte er. Weil er niemals einen seiner Logenbrüder hintergehen würde. Deshalb wird er mir meinen gerechten Anteil an Macht und Ruhm auch nicht versagen.
Das kann nicht dein Ernst sein, flüsterte sein Gewissen. Aber ich weiß ja, du meinst es wirklich so. Also schön, ich geb’s auf.
Julian hatte seine innere Stimme niemals vorher so fassungslos erlebt. So verzweifelt, dass es ihr nun wahrhaftig
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