Gößling, Andreas
konnte.
»Schlaf gut, Marian«, murmelte sie neben ihm.
Er drehte sich zu ihr um und vergewisserte sich, dass sie ihr Schutztuch richtig übergezogen hatte. Gleich morgen früh würden sie anfangen, Amulette für Billa zu basteln.
»Gute Nacht«, flüsterte er und war im selben Moment eingeschlafen.
65
Marians Handy summte und vibrierte ununterbrochen. Er hatte die Mailbox ausgeschaltet, aber der Anrufer legte einfach auf und probierte es sofort von Neuem.
Die Anruferin, genauer gesagt. Auf dem Display blinkte jedes Mal derselbe Name: Linda.
Aber Marian wollte nicht mit ihr telefonieren, nicht jetzt jedenfalls. Es war gerade mal zehn Uhr vormittags. Vor ungefähr zwei Stunden waren sie wach geworden, hatten Kekse und Vitaminsaft gefrühstückt und dabei von ihrem Turm in den Park runtergeschaut. Danach hatten sie angefangen, Amulette für Billa zu basteln. Sie brauchten so viele wie nur möglich. Und so schnell, wie es irgend ging. Damit Billa von Kopf bis Fuß geschützt war – nicht erst in fünf Tagen im Hexenholz, sondern ab sofort.
Doch das Nokia in Marians Gürteltasche summte und brummte ununterbrochen. Mit Müh und Not bekam er das erste Schutzamulett für Billa fertig – ein silbernes Armkettchen mit einer eingeflochtenen Haarsträhne von ihr und ihrem Weisheitszahn von links oben. Damit der Zahn nicht gleich wieder abfiel, hatte er einen komplizierten Anglerknoten drum herumgeschlungen, mit rotem Nähzwirn aus Billas unergründlichem Rucksack. »Das Ding heißt Blutknoten«, hatte er verkündet. »Wird übrigens auch im Voodoo benutzt, um Schadenszauber abzuwenden.«
Sie hatte ihn bewundernd angelächelt, ihre Augen so sanftblau wie niemals vorher. »Mann, Marian, was du so alles drauf hast.«
Feierlich legte er ihr das Kettchen um das linke Handgelenk. Ließ den winzigen Verschluss zuschnappen. Mit dem Weisheitszahn obendrauf, vom Blutknoten umschlungen, sah es beinahe aus wie original magischer Steinzeitschmuck aus der Wohnhöhle von Professor Bußnitz.
Billa hatte währenddessen eine Haarsträhne in das Laura-Medaillon gequetscht und eine ganze Milchstraße aus winzigen Milchzähnen mit Tesafilm außen auf das Glas geklebt. Genau den haarfeinen Sprung entlang, sodass es aussah, als ob die Zähne gerade diese Schwachstelle im Medaillon verteidigen sollten.
Das Handy summte jetzt praktisch pausenlos. Doch erst als Billa mit dem Medaillon fertig war und es sich um den Hals gehängt hatte, drückte er auf die grüne Hö rertaste. »Hi, Linda.«
»Na, Gott sei Dank«, sagte seine Mutter. »Wo warst du denn die ganze Zeit? Warum gehst du nicht ans Telefon?«
»Hab noch gepennt. Was ist denn so Eiliges?«
Linda holte hörbar Luft – wie immer, wenn sie geladen war. »Wo bist du?«, fragte sie dann aber mit gekünstelter Ruhe. »Doch nicht etwa in dieser … dieser Schauerruine?«
»Doch, schon«, sagte er erstaunt. »Woher weißt du das denn?« Seine Mutter spionierte ihnen doch nicht etwa hinterher wie so eine eifersüchtige Mom in der Seifenoper?
»Na, du machst mir Spaß, Marian.« Linda ließ einen fetten Seufzer los. »Ihr beiden seid schließlich das Tratschthema Nummer eins in ganz Croplin.«
Heiliger Mist, dachte Marian. »Das ist nicht dein Ernst«, sagte er. Und wusste doch haargenau, dass seine Mutter bestimmt keinen Witz gemacht hatte. Nicht wenn es um Familienehre und so weiter ging – da verstand Linda überhaupt keinen Spaß.
»Heute beim Frühstück hat uns der Wirt erzählt, dass gestern Abend an der Ruine da oben eine ganz komische Schauergeschichte passiert sein soll.« Linda zögerte, wei terzusprechen, und Marian hatte auf einmal ein hässliches Vorgefühl. Er stand von der abgewetzten Steinbank unter den Turmzinnen auf und machte Billa ein Zeichen: Bin gleich wieder da.
»Was denn für eine Schauergeschichte?«, fragte er und balancierte auf der brüchigen Holztreppe zur Turmkammer hinunter.
»Na ja, irgend so ein Satanistenzeug«, sagte seine Mutter, »das musst du doch besser wissen als ich. Du warst ja schließlich dabei, Junge!«
»War ich nicht. Sonst würde ich mich doch dran erinnern, oder?«
»Du und diese … diese …«
Marian trat in die Turmkammer – ein halbrundes Zimmerchen mit schrägem Schartenfenster, durch das die Morgensonne schien. Vorsichtshalber drückte er erst noch die von Alter und Feuchtigkeit aufgequollene Kammertür in den Rahmen. »Billa?«, schlug er dann mit gedämpfter Stimme vor.
»Laura. Sie heißt in Wirklichkeit Laura,
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