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Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenpforte Die
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murmeln würde.
    Gleich kannst du weiterpennen, Famulus, dachte Marian. Erst fischen wir zusammen das Talmibro unter der Truhe hervor.
    Denn dort war es tatsächlich – im hintersten, finstersten Winkel unter Julians Kleiderkasten. Er legte sich flach auf den Boden, steckte die Kerze neben sich auf einen Splitter, der praktischerweise aus einer Bohle hervorsah, und schob seine Hand unter die Truhe. Spinnennetze gab es da unten, Staub in Mengen und andere hässliche Sachen, über die Marian jetzt überhaupt nicht nachdenken wollte. Er schärfte sich ein, dass es Julians Hand war, die in dem Fliegen- und Mäusedreck da unten herumwühlte, und er selbst eigentlich gar nicht fühlen konnte, was Julian so alles in die Finger bekam. Dann endlich spürte er an seinen Fingerspitzen etwas Hartes, gleichzeitig Elastisches, machte sich noch etwas länger und schloss seine Hand um das Talmibro.
    Und wie jetzt weiter? Darüber hatte er bisher noch gar nicht nachgedacht. Aber während sich Julian aufrappelte, Staub und Spinnweben von sich runterwischte und mit schläfriger Verwunderung das Talmibro in seiner Hand anstarrte, hatte sich Marian schon einen Plan zurechtgelegt: Er musste das Buch wiederfinden, in dem der Famulus und er selbst zusammen diese sonderbare Formel gelesen hatten. Wie ging die noch gleich? Er zerbrach sich den Kopf, aber es fiel ihm nicht ein.
    Egal, dachte Marian. Für die Rückkehr brauchte man doch höchstwahrscheinlich sowieso eine andere Formel. Er ließ Julian die brennende Kerze aufheben und dirigierte ihn zur anderen Seite der Kammer. Der Famulus schien im Gehen zu schlafen – mit hängendem Kopf trottete er zum Lesepult. Marian hatte große Mühe, mit Julians Händen die Kerze auf die Pultfläche zu kleben, dann seine Arme zu heben und das Buch zu ergreifen, das auf dem kleinen Bord über dem Pult in einem Stapel zuoberst lag. Er wuchtete es herunter und schlug es wahllos in der Mitte auf.
    Noch sehr viel schwieriger war es, mit den Gliedmaßen des schlaftrunkenen Julian das Talmibro zu öffnen. Erst im dritten Anlauf gelang es ihm, das magische Instrument so weit in der Breite und Höhe auseinanderzuziehen, dass er zwischen den Zeilen im schimmernden Grau etwas erkennen konnte – die Bibliothek im Hegendahl’schen Gutshaus, na Gott sei Dank. Ganz deutlich sah Marian sich selbst, wie er dort drüben im hochlehnigen schwarzen Ledersessel mehr lag als saß, die Haare zerzaust, die Augen geschlossen.
    Er hielt das weit geöffnete Talmibro mit beiden Händen vor sich in die Luft. Zugleich beugte er sich – beugte Julians Kopf – tiefer über das Buch. Obwohl er es scheinbar an einer zufälligen Stelle aufgeschlagen hatte, spürte er, dass genau auf dieser Seite die benötigte Formel stehen würde . »Mabrosilat«, las er, erst leise, dann mit Julians Lippen, »Mabrosilat … Mabrosilat«, wieder und wieder.
    Er fürchtete schon, dass es doch die falsche Formel war, da endlich fühlte er aufs Neue jenen Sog, der ihn durch das magische Fenster hindurchriss – zurück in seinen eigenen Körper, in den düsteren Büchersaal.

15

    Die Bibliothekstür wurde schwungvoll aufgestoßen und Schritte kamen eilends näher. Marian wollte aufstehen, aber seine Beine gehorchten ihm noch nicht so richtig. Während der Bruder Türsteher die Regalreihen bereits hinter sich ließ, kämpfte er sich immer noch aus dem Sessel hervor, »Ich habe einen Schrei gehört.« Torgas beugte sich über ihn, sein Gesicht zu tausend Falten der Besorgnis gefurcht. »Ist etwas passiert?«
    »Alles okay.« Marian bemerkte den neugierigen Blick des alten Mannes. So unauffällig wie möglich verbarg er seine Hand mit dem Talmibro. Wer hatte geschrien? Doch nicht etwa er selbst, als ihn das Talmibro zurück in die Gegenwart, in seinen eigenen Körper geschleudert hatte?
    »Du warst lange hier oben«, sagte der Türsteher. »Du musst müde sein.«
    Marian wollte ihm schon zustimmen – er hatte den Stundenschlag der Kirchturmglocke noch im Ohr. Linda musste sich furchtbare Sorgen machen. Da bemerkte er, dass es vor dem Bibliotheksfenster noch heller Tag war. Die Sonne schien, gelbliche Schleier schwebten unter dem blauen Himmel.
    »Wie spät ist es?«, fragte er.
    »Sechs vorbei. Sechs Uhr abends«, präzisierte Torgas mit einem Lächeln, da Marian ihn nur verwundert angesehen hatte.
    Endlich schaffte er es, sich aus dem Sessel hervorzuarbeiten. Mit seinen hohen Lehnen und den durchhängenden Polstern ähnelte er eher einem Moorloch als

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