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Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenpforte Die
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simplen Gedanken fielen ihm so schwer, als ob er eine komplizierte Rechenaufgabe zu lösen versuchte.
    Jetzt endlich schlafen, dachte nämlich zur gleichen Zeit Julian. Morgen früh wird der Herr mir wieder sackweise Heilkräuter zu häckseln und zu sieden geben. Ach, es ist eine Plage, diese Schinderei als Famulus unten im ständig feuchten Kellerlabor. Wenn da nicht Jungfer Hildegundes liebreizendes Lächeln wäre und die geheimen Treffen meiner Loge draußen im alten Jagdschloss – ich würde keinen Tag länger hier in Croplin ausharren. Wie lange ducke ich mich jetzt schon unter die Knute des Apothekers Friedrich von Lohenkamm? Seit Anfang Mai 1674, und heute ist – au weh, schon seit ein paar Stunden – der 26. August. Also zwei und ein Viertel Jahre bereits!
    Marian vergaß vor Erstaunen zu atmen. Aber das hieß ja, dass er nicht nur im Körper eines anderen Menschen, sondern außerdem in einer weit entfernten Epoche war. In Croplin, dachte er, im Jahr 1676 – mehr als 300 Jahre zurück. Er rechnete fieberhaft nach, so gut ihm das mit Julians Kopf gelingen wollte.
    Der Famulus des Apothekers Lohenkamm schnürte sich zur gleichen Zeit auch noch den zweiten Schuh auf und schüttelte ihn sich vom Fuß. Wenn ich um die Hand der Jungfer anhielte, dachte er, und der Apotheker mir seine Tochter gäbe – ha, das wäre ein feines Leben: als Schwiegersohn und Erbe des Herrn von Lohenkamm!
    Barfuß wanderte Julian nun in seiner Kammer auf und ab, und währenddessen rechnete Marian hin und her. Im Kopfrechnen war er normalerweise ziemlich gut. Aber jetzt musste er die ganze Zeit gegen Julians Hildegunde-Schmachten andenken und so verrechnete er sich mehrmals.
    Aber schließlich bekam er das Ergebnis heraus: Das Talmibro hatte ihn genau 333 Jahre in der Zeit zurückkatapultiert! Das gibt’s doch nicht, dachte Marian. Gerade diese Zahl kam doch auch im Brief von Marthelm Hegendahl vor, und zwar im Zusammenhang mit dem schrecklichen Fluch. Wie hatte der Urgroßonkel geschrieben? 333 Jahre nach ihrer frevlerischen Erschaffung würden die G*L*M zum Leben erwachen – am 9. September.
    Und was hatte Julian Hallthau da vorhin überlegt? Seit mehr als zwei Jahren war er jetzt beim Apotheker Lohenkamm – weil heute nämlich für ihn der 26. August 1676 war. Seltsam, dachte Marian. Dann hatte das Talmibro ihn also um 333 Jahre in die Vergangenheit zurückgeworfen, aber nicht auf die Stunde genau. Denn in Julian Hallthaus Welt hatte schon der 26. August begonnen – während es in seiner, Marians, Gegenwart erst früher Abend am Tag davor war.
    Ihm schwirrte der Kopf – Julians Kopf, der aber zur gleichen Zeit gar nicht zu bemerken schien, dass Marian sein Gehirn als externen Rechner verwendete. Die Taler des Herrn Lohenkamm tat ich mir gefallen lassen, dachte der Famulus nämlich gerade – und die Reize der Jungfer sowieso! Er zog eine begehrliche Grimasse, und Marian dachte: Hey, Kumpel, nicht gerade jetzt!
    Also noch einmal, sagte er sich dann, während Julian weiter in der Kammer umherlief und von einer goldenen Zukunft träumte. Es muss irgendeinen Grund dafür ge ben, dass die Uhr hier bei Julian um etliche Stunden weiter ist als in meiner Welt. Aber was auch immer es damit auf sich haben mochte – in jedem Fall hatte ihn das Talmibro zu einem Zeitpunkt nach Croplin versetzt, an dem die sogenannten G*L*M noch nicht erschaffen worden waren. Denn wenn diese Ungeheuer am 9. September auferstehen sollten und 333 Jahre vorher ins Leben gerufen worden waren, so stand diese frevlerische Tat in Julian Hallthaus Welt erst noch bevor.
    Wieder begann Marian zu rechnen. Es klappte mittlerweile schon ganz gut – wenn auch vielleicht nur deshalb, weil Julian aufgehört hatte, in Gedanken von Jungfer Hildegunde zu schwärmen. Er stand still und starr am Fenster und schaute auf die mondbeglänzten Dächer von Croplin hinaus.
    Das Städtchen sah praktisch genauso aus wie 333 Jahre später – nur dass die Häuser in Julians Zeit noch nicht so windschief in sich zusammengesackt waren und es weit und breit keine Straßenbeleuchtung gab. Von Satellitenschüsseln auf den Dächern mal ganz zu schweigen. Der Kirchplatz mit dem »Moorgraf« musste irgendwo weiter rechts sein – in Julians Augenwinkeln sah Marian die Silhouette des Kirchturms über den viel niedrigeren Dächern der Häuser am Markt. Verrückter Gedanke, dass er selbst dort drüben in seinem Hotelbett lag oder dass Linda sich da hinten in ihrem Zimmer um ihn sorgte – zur

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