Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenpforte Die
Vom Netzwerk:
einer Sitzgelegenheit. Hier in der Gegenwart war es also tatsächlich noch viel früher am Tag als drüben bei Julian.
    »Vielen Dank«, sagte er. »Ich muss jetzt gehen. Kann ich morgen wiederkommen?«
    »Wann immer du willst, Marian. Dein Onkel hat uns ausdrücklich angewiesen, dir jeden Wunsch zu erfüllen.« Er machte ihm ein Zeichen, und Marian folgte ihm nach draußen – die knarrende Wendeltreppe wieder hinab und durch die dämmrige Vorhalle. »Jedenfalls, soweit es mit den Gesetzen unserer Loge vereinbar ist«, fügte Torgas hinzu, nachdem er das Gittertor aufgeschlossen und ihn hinausgelassen hatte.
    Marian musste sich erst einen Augenblick besinnen, worauf sich diese Bemerkung bezog. In Gedanken war er schon wieder am Rechnen: Drei Uhr nachts (dort) entsprach anscheinend 18 Uhr abends (hier). Also hatte ihn das Talmibro um 333 Jahre minus 9 Stunden zurückversetzt. Das war doch bestimmt kein Zufall, sagte er sich – vielleicht hatte ihn sein Onkel Marthelm auf diese Weise noch einmal auf das entscheidende Datum hinweisen wollen, den 9. September.
    Er ließ sich den Gedanken durch den Kopf gehen.
    Urgroßonkel, korrigierte er im Stillen – diesmal allerdings sich selbst. Davon abgesehen schien es durchaus einen Sinn zu ergeben. Denn allein darum ging es ja bei alledem: dass er am 9.9. in Julians Zeit und Welt zur Stelle war, um die Erschaffung der G*L*M zu verhindern.
    Hinter ihm schloss sich das Logentor. Die Welt hier draußen kam ihm vollkommen unwirklich vor: so hell, so laut, so grob. Autos fuhren an ihm vorbei. Fußgänger eilten durch die Straßen, einer schrie in sein Handy. Ein Motorflugzeug zog knatternd durch den Himmel.
    Was waren all diese primitiven Apparate und Maschi nen gegen so ein Talmibro? Er hatte sein magisches Instrument wieder in seiner Hosentasche verstaut. Und natürlich war er froh, dass er Julians eklige Klamotten nicht mehr auf der Haut spürte und wieder in seinen eigenen Sachen steckte. Aber gleichzeitig konnte er es kaum erwarten, in Julian Hallthaus Welt zurückzukehren.
    Niemals hatte er etwas auch nur annähernd so Geiles erlebt wie diesen Trip in die Vergangenheit. In eine Zeit, als die Leute noch an Magie glaubten und imstande waren, Geister zu beschwören, künstliches Gold zu erschaffen – und allerdings auch irgendwelche grausigen Ungeheuer namens G*L*M.
    Erst mal was essen und ein bisschen relaxen, dachte er. Außerdem musste er Linda eine beruhigende, halbwegs wahre Geschichte erzählen, damit sie keinen Aufstand machte, wenn er sich in den nächsten Tagen eher selten bei ihr sehen ließ.
    Zu deinen Badeseen musst du leider alleine, Mutter.
    Er dagegen würde sich noch heute Nacht, wenn Linda und alle anderen hier friedlich schliefen, in Julians Welt zurückkatapultieren. Oder sollte er lieber bis morgen warten und erst noch mal in der Logenbibliothek herauszufinden versuchen, was es mit den G*L*M überhaupt auf sich hatte?
    Ach was, dachte er, warum in staubigen Schmökern lesen, was ich genauso gut live erleben kann? Schließlich war Julian ein erstklassiger Real-world-Avatar, den er nur noch besser zu steuern lernen musste. Nicht mit Joystick, Maus oder Keyboard, wie er es von den Egoshooter-Games kannte, sondern mit reiner Willenskraft.
    Oh Mann, Marthelm, warum hast du mir nicht viel früher einen Brief geschrieben?
    Marian war so tief in Gedanken, dass er kaum darauf achtete, wo er entlangging und was um ihn herum geschah. Die größeren Gassen in Croplin führten sowieso alle auf den Kirchplatz, wie ihnen der Wirt des »Moorgraf« heute Vormittag erklärt hatte – da konnte man also kaum in die Irre gehen.
    Als er den Platz erreichte, saß auf dem Brunnensims das Mädchen mit den blauen Augen – nicht in verdreckten Westernstiefeln, sondern in einem komplizierten Kleid mit tausend Rüschen, Knöpfen und Schleifen. Was für eine Farbe ihr Kleid hatte, war schwer zu sagen – der Stoff schillerte in den verschiedensten Tönen, je nachdem wie sie sich gerade bewegte oder das Sonnenlicht darauf fiel. Aus der Nähe betrachtet sah das Kleid allerdings auch ziemlich fadenscheinig aus – mit Flicken und Löchern, als ob sie es auf irgendeinem Dachboden gefunden hätte. Aber es sah trotzdem großartig aus. Vor allem passte es so perfekt zum Kupferton ihrer Haare, dass Marian gar nicht anders konnte: Er blieb stehen und starrte sie an.
    Für sein Leben gern hätte er irgendwas Witziges gesagt, das sie zum Lachen brachte und ihr zeigte, was für ein intelligenter

Weitere Kostenlose Bücher