Gößling, Andreas
gleichfalls aus.
Draußen wirkte alles noch viel weniger wirklich als vom Auto aus. Der giftig gelbe Schimmer in der Dunkelheit, für die es zu früh am Tag war. Der stechende Geruch nach Moordämpfen. Der federnde Boden unter den Sohlen, als Marian um ihren Golf herumging. Er richtete die Taschenlampe auf den Amischlitten des Alten. Die Fahrertür stand noch offen. Marian leuchtete hinein – der Zündschlüssel war abgezogen. Solange die Kiste quer über dem Weg stand, kamen sie hier nicht mehr weg.
»Das gibt’s nicht«, flüsterte Linda. »Weißt du, wem der Wagen gehört?«
»Na ja – deinem Wanderer, oder?«
»Eher schon deinem Urgroßonkel Marthelm.«
Darauf fiel ihm nicht gleich eine Antwort ein. Er leuchtete Linda ins Gesicht, um festzustellen, ob sie sich über ihn lustig machte. Allerdings war es ganz bestimmt kein guter Moment für schlechte Jokes.
»Ich hab dir doch erzählt«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, »dass Marthelm früher ab und zu auf Familienfeiern aufgetaucht ist. Obwohl niemand ihn dort sehen wollte – dein Vater so wenig wie dein Großvater oder sonst irgendwer. Und soweit ich mich zurückerinnern kann, ist Marthelm immer mit diesem schwarzen Schlitten hier erschienen. Oder jedenfalls mit einem Auto, das dem hier zum Verwechseln ähnlich sah.«
»Und das heißt also?« Während er Linda zuhörte, leuchtete Marian wild im Dunkeln umher.
»Weiß ich auch nicht«, gab Linda zurück. »Der Wanderer ist zumindest nicht dein wiederauferstande ner Urgroßonkel , so viel steht fest. Marthelm war breitschultrig und hat ziemlich geschielt. Vielleicht hat er seinem Kumpel hier das Auto vermacht.«
Nette Freunde hatte der Urgroßonkel. Von dem verrückten Alten war jedenfalls nichts zu sehen. Nur Bäume, Moor, die beiden Autos – und ein winzig schmaler Trampelpfad, der genau vor der Schnauze des Cadillacs zwischen den Bäumen hindurch ins Dunkel führte.
»Dorthin muss er sein.« Marian deutete mit der Taschenlampe auf den Anfang des Pfads. Noch immer hämmerte ihm das Herz in der Brust. Als er sich dem Pfad näherte, stellten sich ihm auch noch die Nackenhaare auf.
Verrückt, dachte er. Seit wann passierten solche Sachen in der langweiligen Wirklichkeit – und nicht bloß in Horrorfilmen oder Adventure-Games? Er zwängte sich zwischen den Bäumen hindurch. »Schau dir das an.«
Der Lichtkegel der Taschenlampe strich über die Rückfront eines stark verwahrlosten Hauses wenige Me ter vor ihnen. Schmale, vergitterte Fenster. Die Fassade mit schwarzen Flecken und Rissen übersät. Von dem tief heruntergezogenen Reetdach hingen Fetzen und Strähnen herab, wie von einer ramponierten Perü cke. Eine schmale Tür in der Hauswand stand halb of fen. Dahinter zeichnete sich eine Treppe ab, die steil nach unten führte.
Wie sind wir nur hier reingeraten?, dachte Marian. Wie auch immer – sie mussten diesen durchgeknallten Alten finden, eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Über den glitschigen Hofweg ging er langsam auf die Tür zu. Linda folgte ihm mit spürbarem Zögern. Da ertönte aus der Tiefe des Hauses ein grauenvoller Schrei. Ein lang gezogenes Heulen und Winseln, anders als jeder Laut, den Marian jemals gehört hatte.
Ein Schauer rann ihm den Rücken runter. Sollten sie wirklich in dieses Kellerloch hinabsteigen? Willenlos ließ er zu, dass Linda ihm die Lampe aus der Hand nahm.
»Jetzt reicht es mir aber«, sagte sie. »Der alte Kerl hält uns wohl zum Besten.« Sie richtete den Lichtstrahl auf das Türloch, aus dem ein weiterer schauerlicher Schrei drang. »Na, der soll mich kennenlernen.«
3
Die Treppe war so schmal, dass sie gerade noch nebeneinander gehen konnten. Steile Steinstufen, von den Jahrhunderten ausgewaschen. Der Lichtstrahl der Taschenlampe zuckte über modriges Mauerwerk.
Unten ein enger Gang, grob in den Fels gehauen. Und dann wieder so ein grässlicher Schrei. Oder eher ein Stöhnheulen, ein Kreischjaulen, Winselwimmern – nichts, was lebendige Menschen aus ihren Kehlen pressen könnten.
Seltsamerweise wurde es immer wärmer, je tiefer sie kamen. So als ob der Alte unter seinem Haus einen Vulkan betreiben würde. Mit einem Krater voll glühender Lava, in dem er seine erbarmungswürdigen Opfer grillte. Und so ähnlich war es dann ja auch.
Der Gang mündete in einen großen Kellerraum. Auf der Türschwelle blieben Marian und Linda stehen und schauten sich ungläubig um.
Funzliges Licht sickerte aus einer Deckenlampe. Der alte Mann schien sie nicht zu
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