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Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenpforte Die
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aus dem Rumpf wuchs, wirkten die Figuren unheimlich und auf boshafte Weise verzwergt. Jede von ihnen stand in einer Sigle, die Meister Justus mit schwefelgelber Kreide auf den Boden gemalt hatte. Eines dieser Zeichen war eine Schlange, die sich um die Zacken eines Pentagramms wand. In der Mitte zwischen den Figuren stand eine kleine Schale, gefüllt mit Glut, aus der ein dünner Qualmfaden zur Decke aufstieg. Dies alles war von ei nem weiteren Kreis umgeben, der offenbar mit Kohle ausgeführt worden war wie bei der Geisterbeschwörung am gestrigen Abend.
    »Schem – ham – for – as!« Durch das Schlüsselloch hindurch klangen die Anrufungen des Großmächtigen Meisters weniger verzerrt als durch das dicke Türholz. Wie ein gigantischer schwarzer Vogel tanzte er um die Figuren herum und schrie dabei ein ums andere Mal seine seltsame Formel. Doch diesmal schien ihm die Beschwörung zu misslingen – die Lehmpuppen blieben leb- und reglos.
    Während Julian noch gebückt vor dem Schlüsselloch stand und zu begreifen versuchte, was im Verlies vor sich ging, stieß Meister Justus einen Wutschrei aus. »Und es wird mir doch gelingen«, brüllte er, »euch herbeizuzwingen – wenn nicht heute Nacht, dann eben morgen!« Damit sprang er in den Kreis hinein, dass sein Umhang wehte, und begann die Lehmpuppen zu zerstampfen.
    Starr vor Erstaunen sah Julian ihm zu. Erst als der Meister alle Figuren bis auf eine niedergestampft hatte, wurde dem Famulus klar, was als Nächstes geschehen würde: Meister Justus würde das Verlies verlassen, und wenn er, Julian, dann immer noch vor der Tür stand …
    Auch diesen Gedanken brachte er nicht zu Ende, aber dafür war nun wirklich keine Zeit mehr: Er fuhr herum und tappte so schnell, wie seine zittrigen Knie und die dicke Dunkelheit es erlaubten, den Gang zurück und die Treppe wieder hinauf. Als er sich oben aus der Fensterluke schlängelte, meinte Marian schon die Schritte des Meisters zu hören, der die Stufen emporstapfte, dabei immer noch lauthals auf die Lehmfiguren schimpfend.
    Von außen zog der Famulus das Fenster wieder zu, so gut es in der Eile gehen mochte. Dann lief er mit wehenden Haaren um das Haus herum und vorn über den Hof zum Tor, wo seine Schuhe beim Torpfosten standen. Mit fliegenden Fingern knotete er sie zusammen, warf sich das Gebinde um den Nacken und hangelte sich über das Gitter des Eisentors. Hätte der schlaflose Nachbar von gegenüber diesmal aus dem Fenster gesehen, so hätte er einen Burschen mit schreckverzerrtem Gesicht erblickt, der sich die Eisenspitzen oben auf dem Tor in schmerzempfindliche Körperzonen piekte, worauf er leise jammernd auf die Straße mehr heruntersackte als -sprang.
    Jetzt aber auf schnellstem Weg nach Hause, dachte Marian, während der Famulus auf nackten Füßen durch Straßen und Gassen trabte. Der Himmel begann sich schon morgengrau zu verfärben. Es musste mindestens vier sein – sieben Uhr abends in Marians Gegenwart. Bestimmt war Linda längst wieder im Hotel und machte sich Sorgen, weil er sich irgendwo herumtrieb und ihr nicht mal eine Nachricht hinterlassen hatte. Aber was sollte er denn machen? Dieser verrückte Famulus hatte anscheinend immer noch nicht genug – statt in die Herrengasse einzubiegen, rannte er schnurstracks weiter, auf einen kleinen Platz zu, an dessen Stirnseite mehrere Fenster im Erdgeschoss hell erleuchtet waren.
    Ja, stimmt, Linda, ich treib mich rum, dachte Marian. Aber du wärst stolz auf mich, wenn du sehen würdest, wie sehr ich mich auf einmal für Geschichte interessiere. Auch Frau Kürschner, seine Geschichtslehrerin, würde Augen machen: Marian Hegendahl, Experte für Magie und Verliese des 17. Jahrhunderts.
    Und für die Backwerke dieser Epoche, dachte er dann. Denn Julian hatte den kleinen Platz erreicht und aus den weit geöffneten Fenstern des großen Fachwerkhauses strömte ihnen der köstliche Duft frischer Brötchen und ofenwarmer Brotlaibe entgegen. Über der reich mit Schnitzereien verzierten Haustür stand: Heribert Wulf – Moorgräflicher Hofbäcker.
    Marian und Julian wurde im gleichen Moment be wusst, dass sie vor Hunger fast umkamen. Beide versuchten, sich zu erinnern, wann sie zuletzt was gegessen hatten. Aber es fiel ihnen nicht ein. Mit seiner letzten Kraft trottete der Famulus zur Rückseite des Bäckerhauses und klopfte an einen hölzernen Fensterladen.
    Fast im selben Moment ging der Laden auf und in der Öffnung erschien ein leichenbleiches Gesicht. »Ah, Julian,

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