Gößling, Andreas
schließlich und ballte die Fäuste vor Carmen auf dem Tisch. Das Wort schien ihn wütend zu machen. Er wiederholte es ein paar Mal und sah sie dabei immer wilder an. »Ausgestorben, ja? Sehe ich aus wie jemand, der ausgestorben ist?« Seine Augen blitzten zornig.
Allmählich verstand Carmen überhaupt nichts mehr. »Aber diese alten Maya-Königreiche«, sagte sie, »mit ihren Pyramiden-und Tempelstädten – das ist doch wirklich seit tausend Jahren vorbei. Als die ersten Spanier vor« – rasch versuchte sie sich zu erinnern, wie lange das nun wieder her war – »vor mindestens fünfhundert Jahren hier angekommen sind, waren die alten Maya-Städte doch längst verfallen und leer.« Pedro guckte sie immer noch so eigenartig an – zornig und verquält, als ob er vor allem auf sich selbst wütend wäre.
»Das weiß ich zufällig genau«, fuhr sie fort. »Meine Mutter redet ja von nichts anderem als diesen alten Maya-Sachen. Und du kannst mir wirklich glauben, Pedro: Wenn es irgendwo heute noch ein Maya-Königreich geben würde – Maria wäre die Erste, die dorthin rennen würde, um alles von vorn bis hinten zu erforschen.«
»Sie ist schon dort«, gab Pedro zurück und ließ den Kopf hängen.
»Aber ich glaube nicht, dass deine Mutter dazu kommen wird, dort irgendwas zu erforschen.«
Mit beiden Händen schaufelte Carmen ihre Habseligkeiten in ihre Handtasche zurück. Dann wurde ihr bewusst, dass sie ihre Zeit mit unsinnigem Kram verplemperte. Sie musste Georg anrufen, so schnell wie möglich. Und sollte sie nicht doch besser mit diesem Cingalez sprechen? Sie war völlig durcheinander. Gleichzeitig kam ihr dies alles immer noch ganz unwirklich vor. Ihre Mutter verschleppt! Und diese Entführer beteten alte Götter an und hatten gedroht sie zu töten? Das war doch alles vollkommen verrückt!
Pedro war wieder aufgestanden und durchsuchte weitere Küchenschränke. Schließlich klappte er sogar den Herd auf und schaute hinein. Aber offenbar gab es im Ofenloch keine heiligen Sachen, sondern höchstens reichlich Ruß. Er klopfte sich den Hemdsärmel aus und hustete. »Wir durchsuchen das ganze Haus«, entschied er.
Carmen sah ihn abwartend an. Pedro war höchstens zwei Fingerbreit größer als sie, aber er wirkte kräftig und durchtrainiert. Und gegen sein Messer konnte sie im Ernst sowieso nichts ausrichten.
»Oder sagst du mir doch lieber gleich«, hörte sie ihn von der Tür her, »wo die geklauten Sachen sind?«
Jetzt platzte ihr doch der Kragen. »Ja, woher soll ich das denn wissen, verdammt noch mal!« Sie sprang auf und blieb mitten in der Küche stehen, zwei Schritte vor Pedro. »Und wieso redest du überhaupt dauernd von mehreren Sachen? Heute hat dein Vater diese Maske Maria gegeben. Aber wann soll das mit dem anderen Zeug denn über die Bühne gegangen sein? Wir sind doch erst seit zwei Tagen in Flores.«
Pedro kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Die Maske ist also hier?« Carmen zuckte mit den Schultern. »Na, das wird sich finden«, fuhr er fort. »Und die anderen drei Sachen – weißt du das wirklich nicht?« Allmählich kam sich Carmen ziemlich blöd vor.
Wieder fiel ihr nichts Besseres ein, als mit den Schultern zu zucken.
»Dieser Deal hat vor ungefähr einem Monat stattgefunden«, erklärte Pedro. »Genauer gesagt – am 3. Juli in Guatemala Ciudad. Sagst du mir jetzt, wo du die Maske hast?«
»Sie ist… an einem sicheren Ort.« Beinahe hätte sie sich überrumpeln lassen. Anfang Juli?, überlegte sie fieberhaft. War Maria da nicht auf einer Konferenz in Mexiko gewesen?
Auf einmal stand Pedro so nah vor ihr, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte. »Das hier ist kein blödes Detektivspiel für weiße Kids, die Langeweile haben, hörst du?« Seine Hände krampften sich in ihre Schultern und schüttelten sie so fest, dass ihr ganz wirr im Kopf wurde. »Der Canek selbst hat befohlen, dass sie am Mittwoch geopfert werden sollen!« Er schrie es und schüttelte sie immer heftiger. »Am Tag ihres Maisgottes – auf seiner Pyramide –, verstehst du das, Carmen? Deine Mutter und mein Vater – von Priestern mit ihren heiligen Beilen ganz langsam in Stücke gehackt – wenn ich ihren Götterkram bis dahin nicht wieder aufgetrieben habe!«
Endlich ließ er sie los. Carmen taumelte zurück. Sie heulte und ließ den Kopf hängen, damit er ihre Tränen nicht sah.
»Entschuldige«, sagte Pedro. »Das… es war blöd von mir.«
Carmen sah nicht auf. Sie lehnte am Küchenschrank, die
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