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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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»Meinst du wirklich, dass es eine gute Idee war, hierher zu kommen?«
    Pedro zuckte mit den Schultern und hielt mit einer Hand sein Goldkettchen fest. Ein Mädchen ungefähr in Carmens Alter versuchte ihm die Kette vom Hals zu reißen, und die Frauen feuerten sie mit schrillen Gesängen an. »Keine gute Idee«, rief er. »Aber alle anderen wären noch schlechter gewesen.« Mit seiner freien Hand griff er sich in den Nacken, klickte seine Kette auf und überreichte sie dem Mädchen. Dazu grinste er verzerrt, während das Mädchen die Kette wie eine Peitsche durch die Luft sirren ließ. »Ohne die Zwillinge kommen wir nie nach Tzapalil.«
    »Und die beiden waren wirklich schon mal dort?«
    »Na und ob.« Noch während Pedro sprach, sprang er auf, so unvermittelt, dass die Frauen um ihn herum aufkreischten.
    Vom grünen Feuer her war die Stimme des Großvaters zu hören, die immer wieder dieselben Silben in die Nacht schrie. »Chac-ajchamach keej! Chac-ajchamach keej!«
    »Was ruft er?«, fragte Carmen. »Und wo willst du denn hin?«
    »Chac-ajchamach keej – das bin ich.« Pedro grinste verzerrt auf sie herunter. »Junger roter Hirsch.« Er deutete auf sein Gewand.
    »Wie du dir vielleicht schon gedacht hast.«
    Aber Carmen hatte sich überhaupt nichts in dieser Art gedacht.
    Und es gefiel ihr gar nicht, dass Pedro sie allein im Kreis seiner boshaften Verwandten zurücklassen wollte. Also rappelte sie sich gleichfalls auf, was unter den Frauen ein aufgeregtes Zischeln hervorrief. Sie machte einen großen Schritt aus dem Kreis heraus und ging auf das Feuer zu. Aber dann blieb sie doch lieber ein paar Schritte hinter Pedro stehen. Auf halbem Weg zwischen den Frauen, die hinter ihr immer noch aufgeregt tuschelten, und dem Kreis der Männer, die Pedro grimmig entgegensahen.
     
    Der Großvater schlug dreimal mit seinem Stock ins Feuer, dass die grünen Funken nur so sprühten. Als sich die Flammen wieder beruhigt hatten und der Qualm verflogen war, stand er hoch aufgerichtet neben der Feuerstelle und deutete mit seinem Stock auf Pedro. »Chac-ajchamach keej!«, rief er wieder und schickte einen ganzen Schwall grollender Itzaj-Sätze hinterher. Rings um das Feuer saßen etwa fünfzehn Männer, die meisten in fortgeschrittenem Alter, wenn auch keiner so alt wie der Großvater. Auf seine Worte folgte zustimmendes Murmeln, aber auch vereinzelte Ausrufe, die nach wütendem Widerspruch klangen.
    »Was sagen sie?«, flüsterte Carmen. »Worum geht es denn überhaupt?«
    »Warte einen Moment.« Pedro schaute sich kurz zu Carmen um, er sah verängstigt aus. Dann wandte er sich wieder dem Feuer zu und den fünfzehn Gesichtern, die ihn so finster wie möglich anstarrten.
    Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme angespannt. Sogar Carmen merkte, dass er Mühe hatte, sich in der Sprache seiner Zuhörer flüssig auszudrücken. Der Sprache seiner Väter, seines Volkes.
    Sie verstand kein Wort von dem, was er da stockend und stammelnd sagte, und spürte trotzdem, dass die Männer am Feuer immer feind-seliger wurden. Wie schmal und zerbrechlich er wirkte in seinem seltsamen weißen Hemd, den Rücken ihr zugewandt, von einem Bein aufs andere tretend. Aber Pedro ist überhaupt nicht so hilflos, wie er jetzt vielleicht wirken mag, sagte sie sich dann wieder. Er wusste sehr gut, was er wollte, und er wusste auch, wie er ein Ziel erreichen konnte, das er einmal ins Auge gefasst hatte.
    Nachdem er fertig gesprochen hatte, begann wieder ein wildes Palavern am Feuer. Pedro nutzte die Gelegenheit und erklärte Carmen mit hastigen Worten, worum sich der ganze Streit drehte.
    »Großvater hat dem Rat des Dorfes erklärt, dass ich die Hilfe der Zwillinge brauche, um nach Tzapalil zu kommen. Und ich hab so ungefähr das Gleiche noch mal gesagt, nur viel schlechter. Die meisten sind auch einverstanden, aber einige sagen, dass Ixom und Kanaas nicht mitgehen dürfen. Ihre Götter wollten nicht, dass die Zwillinge dem Frevel der falschen Herrscher und Priester von Tzapalil zum Opfer fielen. Also könne es auch nicht der Wille der Götter sein, dass Ixom und Kanaas noch einmal dort ihr Leben riskieren.
    Sie hätten schon genug gelitten und zur Rettung meines Vaters oder deiner Mutter wäre sowieso schon das kleinste Opfer viel zu groß.
    Denn sie meinen, dass mein Vater den Tod verdient hätte, genauso wie deine Mutter.«
    Carmen sah ihn nur wortlos an. Wie kamen diese Leute denn dazu, über Leben und Tod zu entscheiden? Was sollte überhaupt dieses

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