Gößling, Andreas
ganze Hin und Her? Sie verstand gar nicht, worüber die Männer sich so hartnäckig stritten. Wenn sie gegen die Herrscher und Priester des geheimen Maya-Reichs waren, mussten sie doch auch dagegen sein, dass dort Leute umgebracht wurden – und dann noch der Sohn ihres eigenen Schamanen! Und das mit den Zwillingen verstand sie erst recht nicht. Was hatten die denn dort so Grässliches erlebt? »Aber dein Großvater ist der Chef!«, brachte sie endlich heraus. »Der Häuptling, der Kazike – oder wie immer ihr ihn nennt. Wenn er dafür ist, dass uns die Zwillinge hinbringen, wo ist das Problem?«
»Auch wenn er dafür wäre – ganz so einfach ist das nicht.« Pedro kniff die Lippen zusammen und lauschte wieder zum Feuer hinüber.
»Auch wenn er dafür wäre?«, wiederholte Carmen. Ihr Kopf war auf einmal ganz leer. »Er hat uns hierher gebracht, aber er will uns gar nicht helfen?«
Pedro schüttelte den Kopf. »Ich hab es dir doch erklärt: Für ihn ist mein Vater ein Verräter. Und Leute wie deine Mutter natürlich erst recht.«
Hinter seinem Rücken schimpften die Männer immer zorniger aufeinander ein. Plötzlich stieß der Großvater sein meckerndes Lachen aus und schlug wieder mit seinem Stock in die Flammen, dass die grünen Funken nur so durch die Dunkelheit flogen. Schlagartig kehrte Stille ein. Der Großvater wartete noch einige Augenblicke, dann erhob er sich und begann mit schallender Stimme zu reden.
Die Männer am Feuer sahen jetzt alle aufmerksam zu ihrem Schamanen empor. Eine bezwingende Kraft ging von ihm aus, das spürte auch Carmen, obwohl sie den Sinn seiner Worte nicht einmal ahnte. »Was sagt er?«, flüsterte sie wieder.
»Sie beide sind Frevler – die Verblendeten von Tzapalil und die Verräter, die mit den bleichen Vernichtern gemeinsame Sache machen.« In den kurzen Redepausen, die der Großvater einlegte, übersetzte Pedro murmelnd, den Kopf halb zu Carmen zurückgedreht.
»Vor vielen hundert Jahren haben die Götter beschlossen die alten Könige und ihre Priester zu stürzen. Und ihr Wille geschah. Denn diese verderbte Kaste hatte sich um die Götter immer weniger bekümmert und nur noch für den eigenen Vorteil gelebt. Aber die Tempel, in denen die Götter damals angebetet wurden, die Opfergaben und Idole, mit denen sie verehrt wurden, sind bis heute und für alle Zeiten heilig. Wer sie aus der Erde ausgräbt, wer die heiligen Masken und Figuren aus den versunkenen Tempeln entwendet, frevelt also nicht weniger gegen die Götter der Maya. Darum sind die Verblendeten von Tzapalil, die den falschen Glanz der alten Maya-Könige wieder beleben wollen, genauso unsere Feinde wie die bleichen Vernichter und ihre verräterischen Helfershelfer, die unser heiliges Erbe schänden, indem sie unsere Gräber und Tempel plündern.«
Der Großvater ließ seinen Blick über die Gesichter am Feuer schweifen. »Wenn sich nun die Verblendeten und die Verräter gegenseitig umbringen«, fuhr er fort, »warum sollten wir sie daran hindern? Die Götter haben es ja so vorausbestimmt, und so, wie es kommen wird, ist es gut. Die Verblendeten von Tzapalil werden die weiße Frau und den Verräter, der unglücklicherweise mein eigener Sohn ist, töten. Und dann werden die weißen Vernichter gegen Tzapalil zu Felde ziehen, und die Vernichter werden die Verblendeten vernichten, und so, wie es kommen wird, entspricht alles dem Willen der Götter und ist unübertrefflich gut. Und deshalb werden Ixom und Kanaas hier bei uns im Dorf bleiben und nicht mit meinem Enkel und dem weißen Mädchen nach Tzapalil gehen. Die Zwillinge sollen leben, die Gefangenen von Tzapalil aber sollen sterben. Denn so wollen es die Götter und so ist es gut.«
Damit stieß der Großvater abermals seinen Stock ins Feuer. Wieder schoss eine Garbe grüner Funken in den schwarzen Himmel.
Und der alte Schamane lachte meckernd, stieß in die Flammen und lachte, ließ Funken sprühen und schrie seinen Hohn zu den Sternen empor.
Pedro hielt Carmen mit beiden Armen umklammert. Sie schrie und heulte und versuchte verzweifelt sich von ihm loszureißen, um sich auf den Alten zu stürzen und ihn irgendwie zu zwingen ihnen doch noch zu helfen. Um ihn anzubetteln, zu überreden, anzuflehen.
Um sich vor ihm auf den Boden zu werfen, ihm alles auf der Welt zu versprechen, wenn er nur zuließ, dass sie nach Tzapalil geführt wurden. Wenn nicht von den Zwillingen, dann von irgendjemand anders, um dessen Leben er weniger fürchtete.
»Lass mich!«,
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