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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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schrie sie. »Pedro, lass mich sofort los, ich will ja nur mit ihm reden!« Der Hals schmerzte ihr höllisch, so laut schrie sie, und ihre Arme taten weh, so fest hielt Pedro sie umklammert, wie mit einem Eisenband. Und zur gleichen Zeit wusste sie, dass Pedro Recht hatte, dass er sie nur festhielt, um sie vor sich selbst zu beschützen. Wenn sie sich jetzt auf den alten Großvater stürzte, würden seine Männer sie in Stücke hacken. Oder sein riesig großer schwarzer Hund würde ihr den Hals durchbeißen, der jetzt schon so wehtat, als hätte Yeeb-ek seine großen gelben Zähne bereits in ihre Kehle geschlagen. »Lass mich doch, lass mich doch!«, rief sie und es war längst nur noch ein Schluchzen.
    Pedros Griff wurde sanfter, jetzt war es nur noch eine tröstliche Umarmung. Ihr Kopf fiel gegen seine Schulter, ihr ganzer Körper zuckte vor Schmerz und Angst und Tränen. Er hielt sie einfach nur fest, damit sie sich nicht so allein fühlte und damit sie nicht umfiel.
    Das Feuer war längst erloschen, als Pedro sie zur Hütte von Ixtu-ul brachte, der jüngsten Schwester seiner Mutter. Vorhin, als die Frauen sie schikaniert hatten, war Ixtu-ul in ihrer Hütte geblieben.
    Jetzt würde sie sich um sie beide kümmern, wie er ihr flüsternd er-klärte. Ixtu-ul war seine liebste Tante seit Kindheitstagen. Und die Mutter der beiden, Junge und Mädchen, um die sich der ganze Streit heute gedreht hatte. Der Zwillinge Ixom und Kanaas, die vor zwei Jahren nach Tzapalil verschleppt worden waren, nicht viel anders, als es jetzt seinem Vater und Carmens Mutter geschehen war.

9
     
    »Nur hereinkommen. Aber sch-sch – Kinder schlafen.« Die kleine, rundliche Frau packte Carmen und Pedro bei den Händen und zog sie in ihre Hütte. Knarrend ging hinter ihnen die Tür zu – ein Brett an ledernen Angeln. »Besser Spanisch reden.« Ixtu-ul zog sie eifrig weiter in ihre Behausung hinein. »Damit alte Männer draußen nichts verstehen.« Sie deutete mit dem Kopf zu den beiden runden Fenstern, vor denen die Mondsichel schwebte, silberhell und unwirklich groß.
    Carmen fühlte sich ganz stumpf vor Müdigkeit. Wie im Traum trottete sie hinter Pedros Tante her. Ein Bett, eine Hängematte, not-falls ein Fleckchen auf dem nackten Boden, mehr wollte sie im Moment gar nicht haben. Aber sie durfte jetzt doch nicht schlafen! Die Zeit raste nur so dahin. In drei Tagen wollte dieser wahnsinnige Maya-König Maria und Pedros Vater umbringen lassen – und sie saßen hier in dem Urwalddorf fest! Nur weil Pedros Großvater es so beschlossen hatte – und weil es angeblich der Wille ihrer Götter war.
    Aber vielleicht hatten sie ja doch noch eine winzig kleine Chance, dachte Carmen. Vielleicht würde Ixtu-ul ihnen ja beistehen, damit die Zwillinge sie doch noch zu der versteckten Maya-Stadt führten.
    Immerhin war sie die Mutter der beiden und auf Carmen machte sie einen freundlichen Eindruck. Viel netter als die anderen Frauen, die sie draußen auf dem Platz ausgelacht hatten.
    Geschäftig führte Ixtu-ul sie zu Stapeln von Kissen und Decken, die mitten im Zimmer auf dem Lehmboden lagen. Sie schien noch recht jung zu sein, vielleicht Mitte dreißig, aber ihr hübsches Gesicht wurde durch zwei Lücken in der oberen Zahnreihe entstellt. »Ihr hinsetzen. Tee trinken, gleich.« Ihr Spanisch war gebrochen, aber gut verständlich. Ihre Stimme hatte einen warmen, melodischen Klang.
    Jetzt eilte sie davon, zu einem Winkel neben der Tür, wo ein Herd-feuer glühte. Sie trug ein buntes Webkleid, das ihr bis zu den Fußknöcheln reichte. Eigentlich war es einfach ein riesiges Tuch, das man drei-oder viermal um sich herumwickelte.
    Carmen ließ sich auf einen Haufen bunter Teppiche fallen und machte die Augen so weit auf wie möglich. Durch das Mondlicht war es hier drinnen fast so hell wie am Tag. Aber es war eine geisterhafte Helligkeit, wie manchmal in Träumen. Pedro setzte sich neben sie auf einen unförmigen Stoffballen und lächelte ihr müde zu.
    Wenn ich jetzt auch nur einen Moment die Augen zumache, dachte Carmen, falle ich sofort in Tiefschlaf.
    Anscheinend bestand die Hütte nur aus diesem einen, fast kreisrunden Raum. Die Wände entlang standen Kästen und prall gefüllte Leinensäcke. Das Dach war gewölbt wie ein Pilzhut und mit Stroh gedeckt. Darunter verliefen krumme Balken, an denen mehrere Hängematten befestigt waren. Offenbar waren die meisten von ihnen leer und Carmen spürte eine fast übermächtige Sehnsucht, sich in eine dieser Matten

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