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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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Fackeln. Hinter jedem zuckenden Licht erkannte Carmen eine Gestalt in weißem Gewand, Zähne und Augen funkelnd in der Dunkelheit. Dahinter waren die Umrisse rundlicher Hütten zu erahnen. Jetzt ertönte ein lautes Kommando und im gleichen Moment loderte ein riesiges grünes Feuer auf, genau im Zentrum des Fackelovals. Die Flammen waren tatsächlich leuchtend grün und Carmen fragte sich benommen, wie sie das wohl hin-bekommen hatten: Flammen, so strahlend grün wie ein riesiges Auge oder wie ein Waldsee, in dem sich die Mittagssonne spiegelt.
    »Willkommen in Yax-kech«, sagte Pedro. »Glaub nur nicht, dass sie dieses Spektakel dir oder mir zu Ehren veranstalten. Sie danken ihren Göttern, dass ihr Schamane heil zurückgekehrt ist.«
    »Ihr Schamane?«, murmelte Carmen. Sie war so müde, so aufgewühlt und überwältigt von allem, was sie heute erlebt hatte, dass sie kaum mehr wusste, ob sie noch wach war oder schon träumte.
    »Wer soll das denn sein?«
    »Na, Großvater natürlich«, sagte Pedro. »Aber jetzt komm. Wenn wir Glück haben, geben sie uns wenigstens eine Hand voll Reis und eine Hängematte für die Nacht.«
     
    Die Frauen kauerten im Kreis um Carmen und Pedro herum und starrten sie unablässig an. Sie hockten auf ihren stämmigen Unterschenkeln und die bunt bestickten Gewänder spannten sich um ihre rundlichen Hüften und Bäuche. Auf den Köpfen trugen sie bunte Tücher, die auf ihren Haarschöpfen lagen wie kleine Teppiche. Unmengen nackter Kinder wuselten um sie herum, tollten durchs Gras, sprangen in Pfützen oder rangelten mit kleinen Hunden, die winselnd das Weite suchten.
    In einiger Entfernung von ihnen saßen die Männer des Dorfs am grünen Feuer und palaverten. Immer wieder schallten einzelne Stimmen zu ihnen herüber. Pedro hatte ihr eben erklärt, worüber sie sich so aufregten: Sie verlangten, dass er und das weiße Mädchen ihr Dorf verließen. Beim ersten Morgengrauen und für immer. Am zornigsten von allen klang seltsamerweise der alte Schamane. Worüber war er denn so wütend? Schließlich hatte er sie ja hierher geführt.
    Und außerdem war doch sein eigener Sohn verschleppt worden und sein eigener Enkel war gekommen, um die Entführten zu befreien.
    Im Augenblick war Carmen viel zu müde und ausgehungert, um sich mit diesen Fragen herumzuschlagen. Sie stopfte das Essen in sich hinein und versuchte die Frauen zu ignorieren. Das war allerdings nicht so einfach, denn diese blöden Weiber machten sich ganz offenkundig lustig über sie. Kicherten ihr ins Gesicht, unterhielten sich gackernd, zeigten mit dem Finger auf sie oder Pedro und brachen in kreischendes Gelächter aus.
    Die Luft war immer noch warm, aber angenehm mild. Die Hühnchenfleischstücke, die zerkochten schwarzen Bohnen und der wilde Reis schmeckten Carmen besser als alles, was sie jemals gegessen hatte. Zumindest kam es ihr in ihrer Erschöpfung so vor. Mit der bloßen Hand schaufelte sie alles in sich rein, wie es hier offenbar üblich war. Auch der eigenartige Tee, mit seinem Geschmack nach Gräsern und Wald fruchten, schien ihr der köstlichste Trunk auf Erden. Nur der Qualm vom grünen Feuer und von den Fackeln, die in weitem Kreis in den Boden gerammt waren, kitzelte ihr immer wieder im Hals und in der Nase. Aber sie kämpfte jeden Nies-oder Hustenreiz nieder. Vorhin hatte sie einmal niesen müssen und da hatten sich diese Maya-Frauen minutenlang nicht mehr eingekriegt vor Lachen. Ihre Heiterkeit wirkte boshaft und schadenfroh.
    Auch Pedro erging es nicht viel besser. Mit angezogenen Beinen saß er neben ihr und die stämmigen kleinen Frauen schubsten ihn immer wieder oder zogen an seinem seltsamen Gewand, das mit einem Muster aus Hirschen und kleineren Geweihtieren bestickt war.
    Dazu lachten sie und riefen ihm Spottworte zu, worauf sie aufs Neue in prustendes Gelächter ausbrachen.
    »Das sind alles meine Verwandten.« Mit verquältem Grinsen wehrte Pedro eine Hand ab, die ihm in die Wade zwackte. »Tanten und Großtanten und Cousinen – sie meinen es nicht böse.«
    »Hoffentlich hast du Recht.« Carmen stellte ihre Essschale, die sie bis auf das letzte Reiskorn leer gekratzt hatte, neben sich auf den Boden und wischte sich die Hand im Gras sauber, so gut es gerade ging. Das löste eine neue Heiterkeitswelle aus – eine Frau klatschte sich auf die Schenkel, eine andere zog ein kleines Mädchen hinter ihrem Rücken hervor und zeigte ihm die leere Schale, worauf das Kind ein perlendes Kichern hören ließ.

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