Gößling, Andreas
Vater und wie der Mann aus Marias Erzählung? Bestimmt nicht sehr oft, nicht mal in diesem wilden Land. Also waren Xavier Gómez und der Fahrer mit der schrecklichen Erinnerung höchstwahrscheinlich ein und dieselbe Person. Aber das hieß doch, überlegte sie weiter, dass ihre Mutter und Pedros Vater ziemlich vertraut miteinander waren – wenn Gomez ihr solche dramatischen Geschichten aus seinem Leben erzählte? Warum hatte Maria dann sogar vor ihr, Carmen, so getan, als ob Xavier Gomez für sie ein völlig Fremder wäre?
Wie hatte Maria in der Bodega zu ihr gesagt, kurz bevor sie verschleppt worden war? Carmen kniff die Augen zusammen und sah die Szene wieder vor sich. Maria hatte ihr Handy ausgeschaltet und gehetzt um sich geschaut. »Ein gewisser Señor Gomez«, hatte sie behauptet. »Er sagt, Cingalez hätte ihm meine Nummer gegeben.«
Ein gewisser Gomez – wenn sie ihn in Wahrheit seit langem kannte und sie einander die kleinen und großen Dramen ihres Lebens anvertrauten? Vielleicht waren die beiden ja sogar ein Liebespaar, dachte Carmen und musste schlucken. Nein, das glaubte sie nicht im Ernst, aber was spielte Maria nur für ein blödes Spiel? Und vor allem und immer wieder: Warum? Was steckte dahinter – und wer?
»… und na ja – mein Vater hatte wohl einfach Glück. Jedenfalls hat er es mir gegenüber immer so dargestellt.« Pedro redete immer noch von seiner Familie. Das Thema schien ihn zu erhitzen, seine Wangen waren gerötet und er fuchtelte mit beiden Händen herum, während er vor ihr den Pfad entlanglief. Alle drei Schritte drehte er sich zu ihr um. »Vor acht Jahren sind wir nach Santa Elena gekommen. Meine Eltern, meine Schwestern und ich. Damals konnte mein Vater nicht mal Spanisch, geschweige denn Auto fahren. Trotzdem hat er bald schon eine Stelle als Taxifahrer bekommen. Jemand hat ihm die Fahrausbildung bezahlt und er hatte auch gleich die begehr-testen Kunden von ganz Flores. Von Anfang an hat er immer die Leute aus dem archäologischen Institut herumgefahren. Die zahlen besser als jeder andere, hat er immer gesagt. Lange Zeit hab ich ihm natürlich geglaubt, jedes Wort. Ich war nie auf die Idee gekommen, dass mein Vater uns anlügen könnte.«
»Und deine Mutter?«, fragte Carmen. »Was ist eigentlich mit der?« Bisher hatte Pedro seine Mutter noch mit keinem Wort erwähnt.
Pedro blieb so unvermittelt stehen, dass Carmen gegen ihn rannte. Aneinander gelehnt blieben sie einen Augenblick stehen, dann machten sie beide einen halben Schritt nach hinten. Carmens Herz hämmerte und auch Pedro sah ziemlich verdattert aus.
»Meine Mutter – sie ist zurückgegangen.« Er deutete hinter sich, in Richtung des Großvaters. Der Alte wartete an der nächsten Wegbiegung. Neben ihm stand Yeeb-ek, den Sombrero auf dem Rücken, und sah aufmerksam zu seinem Herrn empor. »Sie hat sich in der Stadt nicht wohl gefühlt«, fuhr Pedro fort und ließ die Schultern hängen. »Sie war kein halbes Jahr mit uns in Santa Elena. Und keine vier Wochen zurück in Yax-kech, da ist sie gestorben. Von einer Ceiba gestürzt, einem riesenhohen Baum.«
Am liebsten hätte Carmen ihn jetzt in den Arm genommen, so traurig und verloren sah Pedro nach diesen Worten aus. Aber sie getraute sich nicht auch nur seine Hand zu berühren, und jetzt rief der Großvater ihnen auch noch etwas zu, in scheltendem Tonfall, und schwang seinen Stock.
»Das mit deiner Mutter«, sagte sie rasch noch, »das tut mir
schrecklich Leid für dich.« Pedro nickte. Nebeneinander gingen sie weiter und Carmen überlegte verzweifelt, was sie noch hinzufügen konnte, um ihn ein bisschen aufzumuntern. »So richtig gelogen hat dein Vater eigentlich gar nicht«, sagte sie endlich. Es war vielleicht kein besonders guter Trost, aber ihre Gedanken waren schon wieder zu der Geschichte zurückgesprungen, die Pedro ihr vorhin erzählt hatte. Über die wundersame Karriere seines Vaters, der aus dem Dschungel gekommen und sofort zum Lieblingsfahrer der örtlichen Archäologen aufgestiegen war. »Er hat einfach nicht erwähnt, warum sie gerade ihn als Fahrer haben wollten, oder?«
Wieder nickte Pedro. »Darauf bin ich irgendwann auch gekommen«, sagte er. »Aber leider erst, als er schon bis zum Hals in dieser Schatzraub-Sache steckte.«
Noch bevor sie das Dorf Yax-kech erreichten, brach urplötzlich die Nacht herein. Durch die Baumwipfel drang sowieso nur dunkelgrünes Dämmerlicht, jetzt aber wurde es binnen weniger Minuten finster. Zur gleichen
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