Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
Vom Netzwerk:
zu legen.
    Doch da kam Ixtu-ul zurück, in den Händen ein Tablett mit Bechern und einem dampfenden Krug. »Ihr trinken - Mondtee.« Sie lächelte erst Pedro, dann Carmen an und ließ sich ihnen gegenüber auf einem Holzklotz nieder. Schwungvoll goss sie von dem heißen Gebräu ein, das nach modrigem Herbstlaub roch.
    Mondtee?, dachte Carmen. Was soll denn das wieder sein?
    »Trinken, Chica. Mondtee gibt neue Kraft.«
    Konnte Pedros Tante etwa Gedanken lesen? Gehorsam nahm Carmen den Becher entgegen und nippte daran. Und wo hatte Ixtu-ul denn überhaupt Spanisch gelernt – doch nicht hier draußen im Wald, wo ja alle nur in ihrer Maya-Sprache redeten?
    »Schwester hat mir Spanisch beigebracht. Ixbilak – seine Mama.« Sie deutete auf Pedro, der mit hängendem Kopf neben Carmen saß. »Trinken, Chico! Müsst wach und kräftig sein!« Ihre Schwester habe das Spanische gehasst, sagte sie, wieder an Carmen gewandt.
    Auch die Stadt habe Pedros Mutter gehasst, die Blechhütten, den Dreck und Gestank von Santa Elena, die Kirche und die riesigen Steinhäuser von Flores und überhaupt alles dort. Autos, Flugzeuge, alles Spanische, Weiße, Amerikanische – alles eben. »Aber mir zu-liebe hat Spanisch geredet. Und viele Wörter beigebracht. Geheim-sprache, damit Männer nichts verstehen.« Wieder deutete sie mit dem Kopf zu den Fenstern hin. Aber von draußen waren nur die Laute des Dschungels zu hören – ein Knacken und Scharren, als ob dort tausend Raubkatzen durchs dunkle Dickicht schlichen.
    Carmen trank von ihrem Tee und hörte schlaftrunken zu, wie Pedros Tante auf ihren Neffen einredete. Es klingt fast wie Vogelzwitschern, dachte sie und musste wieder an das Geschrei der Urwaldvögel denken. Und daran, wie sie auf einmal lachen und heulen musste und eine Flut in sich aufsteigen fühlte, Angst und Sehnsucht, Freude und Traurigkeit, alles zur gleichen Zeit und überwältigend stark. Viel wilder, viel intensiver, als sie jemals irgendetwas gefühlt hatte. Wie es Maria jetzt wohl geht?, dachte sie plötzlich und sah ihre Mutter vor sich. Gefangen und gefesselt in einem Verlies wie dem, das sie im Bungalow nachgebaut hatte. Der Magen zog sich ihr zusammen. Nein, nein, nein!, dachte sie. Wir holen dich da raus, Maria. Dich und Pedros Vater!
    »Na, Carmen – Mondtee wirkt?« Sie schreckte aus ihren Gedanken auf. Pedros Tante schaute ihr mit einem Lächeln ins Gesicht.
    »Siehst schon frischer aus.« Sie beugte sich vor und tätschelte Carmens Knie. »Und jetzt kommen – Maya-Kleid probieren.«
    »Warum das denn?« Carmen sah Pedro Hilfe suchend an. Sie hatte überhaupt keine Lust, Jeans und T-Shirt gegen so ein muffiges Wickelkleid zu vertauschen. Aber der Tee wirkte tatsächlich aufmunternd. Am liebsten wäre sie gleich wieder losmarschiert, dieser verdammten Maya-Stadt entgegen. »Das muss doch nicht sein, Pedro, oder?«
    Pedro hob die Schultern und sah von Carmen zu Ixtu-ul, die sich an einem der prallen Säcke zu schaffen machte. »Kommt drauf an«, sagte er und ließ die Schultern sinken.
    Auch Pedro scheint wieder etwas munterer, dachte Carmen.
    Auch wenn er sich wieder mal ziemlich dunkel ausdrückt. »Kommt worauf an?« Was hatte seine Tante wohl in ihren Tee gemischt? Ihre Müdigkeit war jedenfalls wie weggeblasen.
    »Auf die Zwillinge«, sagte Pedro und zeigte seltsamerweise zum Strohdach empor.
    Carmen legte ihren Kopf in den Nacken. Da oben unter der Decke lagen drei oder vier zierliche Gestalten in Hängematten. Sie hatte die Schläfer vorhin schon bemerkt, als sie hereingekommen waren, sich aber nichts weiter dabei gedacht. »Kinder schlafen«, hatte Ixtu-ul ihnen ja erklärt. Jetzt richteten sich wie aufs Stichwort zwei von ihnen auf, schwangen die Beine aus ihren Matten, rieben sich den Schlaf aus den Augen und sprangen ganz genau gleichzeitig zu ihnen herunter. Carmen staunte die beiden nur an. Sie sahen sich so ähnlich, wie Junge und Mädchen sich überhaupt ähneln konnten. Das gleiche längliche Gesicht, die Augen dunkelbraun und katzenhaft schräg. Die gleichen Wangenknochen, die gleiche zurückweichende Stirn, die sie noch mehr wie Mensch gewordene Katzen wirken ließ.
    Raubkatzen, ja, dachte Carmen und wurde sich bewusst, dass sie die beiden immer noch anstarrte. Aber sie konnte gar nicht anders, sie schaute von dem Jungen zum Mädchen und wieder zurück, als ob die beiden sie hypnotisiert hätten. Beide trugen die gleichen weißen Gewänder, bestickt mit kauernden, springenden, liegenden,

Weitere Kostenlose Bücher