Gößling, Andreas
auf.
Die Trommeln wummerten immer noch und ihr Herz klopfte im gleichen rasenden Takt. Starr hockte sie neben dem schlafenden Pedro und starrte in die Dunkelheit. Das gibt es doch alles gar nicht, dachte Carmen. Wieso träum ich denn immer wieder dasselbe – von dieser Lichtung, wo ich nie gewesen bin, und mit all diesen Einzelheiten: der Ceiba, den kleinen Früchten, der Grabstelle unter dem Baum? Und jetzt auch noch diese Goldscheibe – das konnte doch nicht das heilige Ding von diesem Sonnengott gewesen sein? Und der Baum hieß also Ramónbaum? Aber woher wusste sie das alles plötzlich? Oder war das irgendein Quark, den ihr Gehirn da zusammenrührte – einfach weil es versuchte sich einen Reim auf das ganze Durcheinander zu machen?
»He, Pedro?« Sie fing an ihn zu kitzeln – erst am Handgelenk, dann langsam die Innenseite seines Arms hinauf. »Schläfst du noch?«
»Was? Jetzt nicht mehr. Wo sind – ach, verdammt.« Sie spürte richtig, wie er erstarrte. »Im Traum war ich ganz woanders.«
»Ich auch, Pedro.« Carmen war auf einmal ganz aufgeregt. »Hör mir zu, bitte«, sagte sie. »Ich hab da was geträumt – eben gerade und davor auch schon zweimal. Es hat irgendwie mit dieser ganzen Geschichte zu tun, verstehst du? Mit Cingalez und Maria und deinem Vater. Hör zu, ja?«
Pedros Ja war wieder ein langsames Schließen und Wiederaufmachen seiner Augen. Carmen holte tief Luft und versuchte die Trommeln, die Pfiffe, das Heulen und Jaulen da draußen zu ignorieren. Sie schloss die Augen und erzählte Pedro so genau, wie sie konnte, was sie gerade geträumt hatte. »Was bedeutet das alles?«, fragte sie, als sie fertig erzählt hatte. »Kannst du es mir erklären, Pedro? Ich meine – Maria kann mir das alles doch nicht durch Telepathie – oder was weiß ich denn für ein Zauberzeug – in den Kopf gespukt haben!«
Pedro dachte schweigend über alles nach. Weil er dabei ihren Arm streichelte, ließ Carmen ihm diesmal mehr Zeit. Aber schließlich verlor sie doch wieder die Geduld. »Jetzt sag doch endlich auch mal was!«
»Wenn du meinen Großvater gefragt hättest – der würde dir antworten, dass man natürlich auch Gedanken übertragen kann. Leute durch Zaubersprüche manipulieren. Nichts leichter als das. Mit seiner Seele zu den Göttern reisen – alles, was du willst.« Er unterbrach sich, als draußen vor ihrem Felsloch plötzlich ein Stampfen wie von Schritten erklang. »Aber du hast ja mich gefragt«, fuhr er fort. »Und meiner Meinung nach ist die Sache ziemlich einfach.« Pedro drückte kurz sein Gesicht in ihre Haare. »Du erinnerst dich anscheinend an etwas, was für diese Geschichte hier wichtig ist. Oder etwas in dir erinnert sich daran, und dieses Etwas versucht verzweifelt deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.«
Carmen hob den Kopf und sah Pedro an. Sein Lächeln schimmerte vor ihr im Dunkeln. Ihr Herz klopfte plötzlich auf eine ganz andere Weise als eben noch – nicht mehr ängstlich holpernd, sondern stürmisch wie jemand, der losrennt, weil er auf einmal seinen Weg vor sich sieht. »Du meinst, dass Maria mir davon erzählt hat?«, fragte sie. »Von der Lichtung, ihrem Versteck und alledem – und ich erinnere mich nur nicht richtig dran?« Sie sann diesem seltsamen Gedanken einen Moment lang hinterher. Tatsächlich waren ihr ja auch gestern beim Paddeln lauter Sachen eingefallen, die Maria ihr über die alten Maya erzählt hatte. Dinge, von denen sie nicht im Traum gedacht hätte, dass sie die noch wüsste.
Nicht im Traum, dachte sie dann, oder gerade dort? Noch während sie darüber grübelte, war plötzlich hinter dem Wandloch ein Rumpeln und Scharren zu hören. Carmen und Pedro lauschten mit angehaltenem Atem. Stimmen flüsterten und zischten. Dann ging da drüben ein schwaches Licht an und der flackernde Schein kroch langsam herüber in ihr Verlies.
14
»Das können die doch nicht machen!« Carmen drückte sich mit dem Rücken in die entfernteste Ecke ihres Felslochs. »Pedro!« Sie kam sich vor wie ein Insekt, nach dem jemand mit einer Fliegenpatsche schlug. »Sag ihnen doch endlich, wer du bist!«
»Das wissen die doch längst. Die wissen alles, Carmen!« Pedro keuchte. Er hatte sich neben ihr auf den Boden gekauert und sah mit weit aufgerissenen Augen zu ihr empor. »Du hast doch gehört, was Kanaas gesagt hat – die beobachten uns, seit wir in Yax-kech weggefahren sind!«
»Die Zwillinge sind doch freiwillig hier – aber was ist mit dir?
Du bist der
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