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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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Flammen und eine Unmenge Gestalten, die im zuckenden Lichtschein tanzten. Bitte nicht, dachte sie. Das dürfen die doch nicht! Plötzlich erschien vor ihr eine Fratze. Schräge Jaguaraugen, fliehende Stirn, die spitz zugefeilten Zähne gefletscht. »Kanaas!«
    Zwei braungelb gefleckte Hände schossen auf sie zu, packten sie beim Hals und zogen sie durch das Wandloch. So wild und gewalt-sam, dass alles ratschend in Fetzen ging – ihr Hemd, ihre Haut, ihre allerletzte Hoffnung, doch noch heil aus diesem Alptraum herauszukommen.
     
    Zweiundzwanzig menschliche Jaguare tanzten um den schwarzen Block herum. So geschmeidig wie Katzen und von Kopf bis Fuß mit braunen und gelben Flecken bemalt. Im Takt der Trommeln, die jetzt so rasend schnell dröhnten, als ob die ganze Stadt, der ganze Berg das Herz eines ekstatischen Riesen wären. Immer wenn sie die Stirnseite des Altarblocks erreichten, machten die Tänzer einen Sprung, warfen die Arme empor und fauchten.
    Carmen und Pedro lagen nebeneinander auf dem Bauch. Arme und Beine mit Lederriemen verschnürt, sodass sie keinen Finger rühren konnten. Carmens Hände und Füße waren vollkommen gefühllos, so fest hatten die Jaguarpriester sie gefesselt. Und dieser Altarblock musste aus Stein sein, so kalt fühlte er sich unter ihr an.
    Aber vielleicht bildete sie sich das alles auch nur ein? Die tanzenden Jaguare, die lodernden Fackeln in den Wandnischen, den schwarzen Altarblock, auf dem sie und Pedro wie Opfertiere hinge-streckt lagen? So richtig real erschien ihr das jedenfalls nicht. Müsste sie sich nicht fürchten? Müsste ihr Herz nicht viel ängstlicher klopfen? Es fühlte sich nicht an wie ein Traum, aber auch nicht wie die Wirklichkeit.
    Das kam natürlich von diesem ekelhaften Trunk, den ihnen die Jaguarpriester verabreicht hatten. Kaum waren sie auf dieser Seite des Mauerlochs angekommen, da hatten sich die Typen auch schon auf sie gestürzt. Ihnen den Mund aufgezwängt und das Krötenzeug in die Kehle geschüttet. Es schmeckte ganz genau so, wie Carmen sich als kleines Mädchen immer den Geschmack von Hexentees vorgestellt hatte – nach Moder und Frosch und nach Schimmel und Schneckenschleim. Aber kaum hatte sie ein paar Schlucke davon heruntergewürgt, da war wie durch einen Zauber alle Angst von ihr abgefallen.
    Völlig entspannt hatten Pedro und sie mit angesehen, wie die nackten Jaguarpriester sie an Händen und Füßen verschnürt, auf den Altartisch gelegt, ihre Gewänder auf dem Rücken von oben bis unten aufgeschnitten hatten. Dafür hatten sie ein langes Messer mit schwarzer, gezackter Klinge verwendet. Das alles war Carmen und Pedro vollkommen unwirklich erschienen. Sie wechselten Blicke, zuckten mit den Schultern, bedeuteten sich gegenseitig, dass sie überhaupt nicht verstanden, was das alles hier sollte. Und während Carmen den Jaguarpriestern zugesehen hatte, wie sie Pedros Hemd aufschlitzten, war ihr plötzlich wieder eingefallen, was Maria ihr mal erzählt hatte: dass die alten Maya auf der einen Seite unglaublich modern und fortgeschritten waren mit ihrer Mathematik und Schrift, ihren Hochhäusern und hunderte Kilometer langen Betonstraßen.
    Dass sie aber auf der anderen Seite auch noch in der Steinzeit lebten, weil sie nämlich weder Eisen noch Bronze kannten. Der Kalkstein, aus dem sie Häuser, Straßen, einfach alles bauten, war so weich, dass sie kein Metall brauchten, um ihn zu bearbeiten. Dafür genügten ihnen andere, härtere Steine, aus denen sie Messer, Meißel oder Beile machten. Und das härteste Material, das sie in ihrer Welt überhaupt kannten, war ein schwarzer, funkelnder Vulkanstein, so glatt und scharf wie eine Stahlklinge: Obsidian. Der Stein der Götter. Das Material, aus dem sie die Beile und Messer für ihre Opferfeiern herstellten.
    Ganz genau, dachte Carmen und sah zufrieden zu Pedro rüber, der mit gefesselten Händen und Füßen und zerfetztem Hemd neben ihr lag. Obsidian. Die Messer der Opferpriester. Wie gut, dass ihr das wieder eingefallen war. Überhaupt erstaunlich, was man sich so alles merkte, auch wenn man es bewusst gar nicht mitbekommen hatte.
    Oder was alles noch in einem aufgespeichert war, auch wenn man glaubte, es längst wieder vergessen zu haben.
    Die Jaguarpriester tanzten immer noch um sie herum. Da vorne das schlanke Mädchen, das musste Ixom sein. Und direkt hinter ihr tanzte Kanaas, mit kraftvollen Katzensprüngen. Von den Narben und Striemen auf ihren Rücken war gar nichts mehr zu sehen.

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