Gößling, Andreas
schlammfarbenes Bündel hervor, wickelte es auf und da kamen wahrhaftig die drei heiligen Sachen zum Vorschein: die Silbersichel Ixchels, die Sonnenscheibe Ahaus und der Jade-frosch des Regengottes Cha’ac. Der Frosch hatte einen riesigen Tapirrüssel, den er in die Luft reckte wie ein Elefant beim Trompeten.
Der Sonnengott auf seiner Goldscheibe glotzte wieder so grimmig und finster wie überhaupt möglich. Nur von der Silbersichel Ixchels mit dem eingravierten Hasen ging eine sanfte, heitere Helligkeit aus.
Der Wald wackelte jetzt so schrecklich, dass es Maria beinahe umhaute. Sie hielt sich mit einer Hand am Stamm des Ramónbaums fest, mit der anderen nahm sie die Silbersichel und fing an neben all den zermatschten Früchten ein Loch in die Erde zu graben. Ohne sich bei ihrer Buddelei zu unterbrechen, drehte sie plötzlich den Kopf nach hinten und schien Carmen wieder direkt ins Gesicht zu sehen. »Na, ich will besser keine Namen nennen«, sagte sie, »aber mit einem dieser Burschen hab ich Sachen erlebt, das würde ich selbst nicht glauben, wenn es mir jemand erzählen würde.« Sie machte eine wegwerfende Geste mit der linken Hand und verlor wieder fast das Gleichgewicht. Das Tosen war jetzt so laut, dass sie schreien musste, aber trotzdem buddelte sie scheinbar ganz ruhig mit der Silbersichel weiter. »Ich hab ihm ja noch nie was abgekauft, aber er versucht es immer wieder«, fuhr Maria fort. Sie ließ die Mondsichel in das Grabloch fallen, warf die beiden anderen Sachen hinterher und erhob sich, an den Ramónstamm geklammert. Mit ihrem Schuh schob sie Erde, zermatschte Früchte, Laub und Zweige auf die Grabstelle, trampelte drauf herum und schob noch mehr Früchte drüber, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden schien.
»Diesmal hatte er wirklich einen sensationellen Fund gemacht!«, schrie sie und drehte sich wieder zu Carmen herum. Das Wasser brüllte und gurgelte. Es klang, als ob eine riesige Flutwelle irgendwo in allernächster Nähe sich durchs Unterholz wälzte. »Nur wollte er mir partout nicht verraten, wo er die Sachen herhatte! Stattdessen hat er mir immer mehr Fundstücke gebracht, die er oder seine Leute anscheinend aus einem Königsgrab geklaut hatten. Ein ganzes Skelett mit Jaderingen an den Fingern, einer Türkiskette um den Hals und so weiter. Dann ein Trio ziemlich kostbarer Heiligtümer. Und anstatt mir endlich zu verraten, wo er das alles hergenommen hatte, hat er nur immer wieder gesagt: Da ist noch viel mehr, Frau Doktor, eine ganze Maya-Stadt! Warten Sie, ich bringe noch mehr Sachen und dann nenne ich den Preis.« Mit beiden Händen winkte Maria in Carmens Richtung ab. »Eine ganze Maya-Stadt.« Sie machte eine Geste, als ob sie mit der hohlen Hand etwas über ihre Schulter schaufeln würde. »Verrückt, ich sag es ja. Aber diese Burschen belauern sich alle gegenseitig. Also bleibt dir nichts anderes übrig, als dich mit dem einen hinter dem Rücken des anderen zu treffen. Denn natürlich willst du gern wissen, ob nicht doch irgendwas dahinter steckt. Die Sachen, die der Mann dir aufgedrängt hat, musst du sogar verstecken, damit du nicht plötzlich in eine ganz blöde Sache reingezogen wirst. Vor kurzem hab ich tatsächlich ein paar solcher Schätzchen im Wald vergraben – neben einer riesigen Ceiba, unter einem Ramónbaum. Weißt du, das sind die Bäume mit diesen kleinen Früchten, die wie orangegelbe Kirschen aussehen. Ich hatte eine Heidenangst, dass ich die Stelle nicht wieder finden würde. Deshalb hab ich mir alles möglichst genau eingeprägt: die Ceiba, das Gestrüpp, den Ramónbaum. Die Stelle ist gar nicht weit weg vom Nordufer des Petén-Sees – ich hab das Zeug einfach mitgenommen, als ich mit Georg mal zu seiner Baustelle rausgefahren bin.« Das Brausen und Tosen des Wassers wurde immer lauter, bis der ganze Wald davon widerhallte. Carmen versuchte sich die Ohren zuzuhalten, aber es half überhaupt nichts. Der Wald war dunkelgrün und von einem unheimlichen Schimmern durchglüht. Als sie genauer hinsah, war überall Wasser, in jedem noch so winzigen Zwischenraum zwischen Zweigen und Blättern zitterte und vibrierte dunkelgrünes Wasser, wie hinter einer Glasscheibe oder wie bei einem Film, der angehalten worden war. Gleich würde jemand wieder auf die Starttaste drücken, dachte Carmen und riss sich mit einem Schrei aus dem Traum heraus.
Sie lag auf der Mondbank im matt beleuchteten Altarraum. Ihr Kopf dröhnte. Das kam bestimmt von dem Gebräu im Silberbecher und
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