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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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sie alle hatten sie doch hintergangen! Die Maske des Maisgottes für ihre Zwecke ein-gesetzt, entwendet, vor fremden Augen verborgen, wie es gerade in ihre Pläne passte. Wie könnte sie da glauben, dass diese Frauen auf-richtiger mit ihr wären?
    Auf einmal schien es ihr auch wieder, dass Ixkulam sie regelrecht belauerte. Ihre Augen waren schmale Schlitze, die Kiefer aufeinander gebissen, als ob die junge Priesterin einen Ausruf der Ungeduld oder des Unwillens unterdrückte. Auf ihrem Bein saß die kleine Ixpalim und sah Carmen ganz traurig an, als ob sie sagen wollte:
    »Du musst vertrauen! Ixchel hilft!«
    »Ob du uns vertraust oder nicht, liegt nicht in deiner oder unserer Hand«, sagte Ixkasaj endlich. »Die Götter haben ja längst alles entschieden. Deine Mutter kann uns nicht sagen, wo sie die Sachen versteckt hat – sie liegt in einem Schlaf, der noch tausendmal tiefer ist als das Verlies, in dem der Lahkin sie gefangen hält. Also haben die Götter dir den Traum geschickt. Träume ihn noch einmal. Diesmal wirst du alles erfahren, was nötig ist.«
    Die Lichter waren währenddessen immer schwächer geworden.
    In Carmens Innerem, aber auch um sie herum. Nur noch ein silbriger Nebel waberte dort umher, wo eben noch diese Lichterfunken durch die Gegend geflitzt waren. Wie müde sie sich auf einmal fühlte.
    Carmen beschloss sich jetzt einfach auf dieser Mondbank hinzulegen, was immer die Priesterinnen davon halten würden. Dann bemerkte sie, dass sie schon ausgestreckt lag, ihr Kopf in Ixkasajs Schoß. Dass ich vorhin tatsächlich geglaubt hab, dachte sie, Maria vor mir zu sehen! Wunschdenken, nichts anderes!
    Die oberste Priesterin Ixchels lächelte auf sie herunter. Mit der Hand machte sie eine komplizierte Schnörkelbewegung über ihrem Gesicht. Fast im gleichen Moment schlief Carmen ein.
    Irgendwo lief Wasser – nein, es flutete und toste. Ein starker Strom, ein reißender Fluss, dachte Carmen, aber wie konnte das denn sein? Hier draußen, tief im Wald? Wie durch ein großes Fenster sah sie in den Dschungel hinein. Riesig hohe Bäume, deren Kronen ganz da oben ineinander verflochten waren. Kleine, spindeldürre Affen turnten auf den Ästen herum. Stießen keckernde Schreie aus und warfen einander Früchte, Zapfen, Zweige an die Köpfe. Wer getroffen wurde, schimpfte wie blödsinnig los und schon rannte, hüpfte, sprang die ganze Horde hinter den Übeltätern her, dass der Wald von ihren Rufen nur so hallte. Und dann kehrte wieder Stille ein und Carmen hörte aufs Neue das Tosen und Gurgeln des Wassers. So als ob sich eine riesige Flut aus großer Ferne heranwälzte.
    Unheimlich, dachte sie im Traum. Der ganze Dschungel vibrierte schon von der Gewalt des Wassers, das hier doch überhaupt nichts zu suchen hatte, oder? Und da vorne, diese kleine Gestalt mit den verschwitzten, silbergrau gesträhnten Haaren, wer war denn um Himmels willen das? Doch nicht etwa Maria? Oh doch, sie war es.
    Wie eine Verrückte rannte Maria durch den Wald, der Rucksack hüpfte richtig auf ihrem Rücken und schon wieder lief dieser grässliche Cingalez hinter ihr her. Natürlich trug er auch wieder diesen hellen Anzug, wahrscheinlich hatte er gar keinen anderen. Sein Gesicht war dunkelolivfarben, offenbar nahm ihn die Rennerei ziemlich mit. Anstatt zu rufen, dass Maria ihm vollkommen vertrauen solle, keuchte er und wedelte sich mit einem kleinen Strohhut stickige Waldluft zu.
    Ein gutes Stück weiter voraus stolperte Maria auf eine Lichtung.
    Das Gurgeln und Tosen des Wassers wurde immer lauter. Der ganze Wald zitterte wie bei einem Erdbeben, oder wie bei einer gewaltigen Explosion, die überhaupt nicht mehr aufzuhören schien. Bei all dem Gewackele hatte Carmen Mühe, zu erkennen, ob es derselbe Ort war, an dem sie Maria schon mal gesehen hatte. Aber doch, dachte sie dann, er ist es, ganz bestimmt. Da die Ceiba, riesenhoch und ihre Äste ausgebreitet wie Vogelflügel. Rechts davon ein Wirrwarr aus Dornengestrüpp, daneben der Ramónbaum, mit orangefarbenen Früchten behängt. Sie sahen wirklich aus wie Mirabellen, in riesigen Mengen hingen sie an den Ästen, auch auf dem Boden lagen Massen von Ramónfrüchten, aufgeplatzt, faulig, zerquetscht.
    Aber dieses Sausen und Brausen! Es war praktisch schon ein Dröhnen, wie bei einem Wasserfall, der einen Berg herunterdonnert.
    Aber das kann ja nicht sein!, sagte sich Carmen im Traum und sah angespannt zu, wie Maria ihren kleinen Rucksack von der Schulter nahm. Sie zog ein

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