Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
gefürchteten Gipfels / Schneebehangner Scheitel / Den mit Geisterreihen / Kränzten ahndende Völker.
Der
Altar des lieblichsten Danks
ist die Gipfelhöhe des Brocken, den er bestiegen hat. Es kam ihm nicht auf die bergsteigerische Leistung an, obwohl es damals noch nicht üblich war, bei Schnee und Eis die Besteigung des Berges zu wagen. An Charlotte von Stein schrieb Goethe danach:
Ich will Ihnen entdecken (sagen Sie’s niemand) daß meine Reise auf den Harz war, daß ich wünschte den Brocken zu besteigen.
Und warum? Er hatte sich das Gelingen oder Nichtgelingen zum
Befestigungszeichen
erwählt.
Wenn ihm die Besteigung gelingt, sollte es als ein
Befestigungszeichen
gelten, als eine Art Gottesurteil. Aber wofür? Das bleibt undeutlich. Im Tagebuch notiert er nach der Besteigung:
Was ist der Mensch daß du sein gedenkst.
Nur so viel ist klar: Es soll ein Zeichen dafür sein, daß die Götter – das Schicksal – es auch weiterhin gut mit ihm meinen. Eine Bestätigung, daß er mit seiner Entscheidung für Weimar auf dem richtigen Weg ist? So vermutet Albrecht Schöne, wohl zu recht.
Die Wochen vor dem Aufbruch zum Harz hatte Goethe auf der Wartburg verbracht, alleine, während unten in Eisenach der Herzog mit einer Jagdgesellschaft sein lautes Wesen trieb. Es hatten ihn wieder einmal Zweifel befallen, er hatte gespürt, wie fremd ihm diese ganze Gesellschaft doch ist. Eine merkwürdige Eintragung im Tagebuch:
bin aber in viel Entfremdung bestimmt, wo ich doch noch Band glaubte.
Diese Leute sind ihm ferngerückt. Doch nicht so der Herzog. Ihm fühlt er sich verbunden. Das hält ihn. Der Herzog
wird mir immer näher und näher u Regen und rauher wind rückt die Schafe zusammen
. Und dann, durch Unterstreichung hervorgehoben und mit zwei Ausrufezeichen: Regieren!! Auch um die Wartburg herum war Sturm und Gestöber, es ist wieder die Stimmung von »Wanderers Sturmlied«, dieser Trotz gegen Wind und Wetter, dieses Selbstgefühl:
Wen du nicht verlässest Genius.
Er wird jetzt mit dem Herzog, so stellt er es sich vor, allen Widrigkeiten trotzen und regieren. Doch was ist schon dieses
Regieren
in einem kleinen Herzogtum? Steht nicht mehr auf dem Spiel? Ist es nicht eine Entscheidung von größerer Tragweite?
Immerhin, die Entscheidung für Weimar ist so nachhaltig, wie keine andere in seinem Leben. Goethe wird sein ganzes künftiges Leben und Wirken dort zusammen mit dem Herzog verbringen. Weimar wird seine Welt sein und bleiben, in die er viele andere Welten hineinzuziehen vermag. Nach der Besteigung schreibt er stolz:
Mit mir verfährt Gott wie mit seinen alten Heiligen.
Was die Besteigung des Brocken selbst betrifft, so hat Goethe in einem Brief an Charlotte von Stein eine anschauliche, fast feierliche Beschreibung davon geliefert: Er war in der Frühe bis zum Torfhaus am Fuße des Brocken gekommen, wo er den Förster beim
Morgenschluck
antraf. Der versicherte ihm, daß bei diesem Schnee und Nebel nicht daran zu denken sei, auf den Berg zu steigen. Er jedenfalls habe es noch nie gewagt, und er kenne sich aus. Sie blickten zum Fenster hinaus, der Berg unsichtbar, im Nebel.
Ich war still und bat die Götter das Herz dieses Menschen zu wenden und das Wetter, und war still. So sagt er zu mir: nun können Sie den Brocken sehn, ich trat ans Fenster und er lag vor mir klar wie mein Gesicht im Spiegel, da ging mir das Herz auf und ich rief: Und ich sollte nicht hinaufkommen! haben Sie keinen Knecht, niemanden – Und er sagte ich will mit Ihnen gehn. – – Ich habe ein Zeichen ins Fenster geschnitten zum Zeugnis meiner Freuden Tränen und wär’s nicht an Sie hielt ich’s für Sünde es zu schreiben. Ich hab’s nicht geglaubt bis auf der obersten Klippe. Alle Nebel lagen unten, und oben war herrliche Klarheit.
Über diesen klaren Blick von oben heißt es in der letzten Strophe der »Harzreise im Winter«:
Du stehst mit unerforschtem Busen / Geheimnisvoll offenbar / Über der erstaunten Welt, / Und schaust aus Wolken / Auf ihre Reiche und Herrlichkeit / Die du aus den Adern deiner Brüder / Neben dir wässerst
.
Es klingt hier ein Motiv an, das Goethe zuvor in »Mahomets Gesang« prachtvoll entfaltet hatte: wie eine Quelle entspringt, zum Strom anschwillt, das Land bewässert und es gedeihen läßt, wie sie tausend andere Zuflüsse aufnimmt und sich schließlich ins Meer ergießt. Ein Bild für die Fruchtbarkeit des Geistes, des
Genies
. Auch das deutet sich an beim Gipfelerlebnis, eine beschwingte Selbstgewißheit,
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