Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
nicht nur fürs
Regieren
sondern wohl auch beim Dichten.
Noch etwas: Beim Abstieg vom Brocken zeigt sich ein unvergeßliches Farbenspiel. In den Höhlen und Bergstollen des Harz hatte Goethe den Geologen und Mineralogen in sich entdeckt, nun wecken Licht und Schatten den Sinn für die Merkwürdigkeiten der Farbenwelt. Daran erinnert er sich in seiner »Farbenlehre« von 1810 wie an eine Urszene.
Auf einer Harzreise im Winter stieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flächen auf- und abwärts waren beschneit
〈...〉.
Waren den Tag über, bei dem gelblichen Ton des Schnees, schon leise violette Schatten bemerklich gewesen, so mußte man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Teilen wiederschien. Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte, und ihr durch die stärkeren Dünste höchst gemäßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün
,
das nach seiner Klarheit einem Meergrün, nach seiner Schönheit einem Schmaragdgrün verglichen werden konnte. Die Erscheinung ward immer lebhafter, man glaubte sich in einer Feenwelt zu befinden.
Drei zureichende Gründe für die Harzreise im Winter: Ein Praktikum vor Ort für den künftigen Intendanten des Bergbaus, das Abbüßen von Schuldgefühlen bei Wind und Wetter und das Orakel vom Brocken: Regieren! Dazu der Farbenzauber am Abend, ein Geschenk an den künftigen Farbentheoretiker – zusammen reicht das für eine wunderbare poetische Mystifikation.
Anmerkungen
Vierzehntes Kapitel
Posse über das Erhabene: »Triumph der Empfindsamkeit«.
Selbstmord der Laßberg. In politischer Mission.
Weimars Selbstbehauptung und Fürstenbund. In Berlin. »Regieren!«
Das Gemischte und das Reine. Soldaten rekrutieren und »Iphigenie«.
Der Tempelbezirk der Kunst.
Was ist der Mensch daß du sein gedenkst
, diesen hoch pathetischen Satz hatte Goethe am Tage der Brocken-Besteigung im Tagebuch notiert. Ein Gefühlsausdruck des Erhabenen. Nach den großen Gefühlen nahm er sich, nach Weimar zurückgekehrt, die seichte Empfindsamkeit vor. Er stellte in wenigen Wochen das zunächst als komische Oper geplante, dann »dramatische Grille« genannte, possenhafte Lustspiel »Der Triumph der Empfindsamkeit« fertig. Am 30. Januar wurde es vom Liebhabertheater aufgeführt mit Corona Schröter als Königin Mandandane in der Hauptrolle und Goethe selbst als König Andrason.
Goethe hatte auf der Höhe des Brocken das Schicksalsorakel befragen wollen, in dem Stück nun spottet er über die Orakelsucht bei Hofe. Der König Andrason hat sich eines Nebenbuhlers bei seiner Frau zu erwehren, eines reisenden Prinzen. Andrason hat ein Orakel befragt, wie ihm zu helfen sei und was er zu tun habe. Zurückgekehrt ist er mit einem rätselhaften Spruch, der allen dunkel bleibt. Statt darüber weiter zu grübeln, stiftet der König die Hoffräuleins an, den Prinzen zu umgarnen, um ihn so von der Königin fernzuhalten.
Der Prinz ist eine Karikatur der Empfindsamkeit. Er liebt die Natur, aber nicht die Mücken und Ameisen, und deshalb schafft er sich eine künstliche Natur, mit allen Bequemlichkeiten,
die
Stahlfedern und Ressorts nur geben können
, auch für unterwegs, denn er reist mit großen Kisten, Kästen und einer transportablen Laube. Im Handumdrehen ist wieder ein passendes Stück Natur aufgebaut aus Rasenbänken, Blumen und Büschen, von Spieluhren hört man Gezwitscher, und Räucherwerke und Windmaschinen spenden Frühlingsdüfte. Nur das Innere der Laube bleibt noch ein Geheimnis. Während der Abwesenheit des Prinzen – auch er sucht das Orakel auf – öffnen die Damen neugierig die Laube, und es zeigt sich ihnen dort eine der Königin nachgebildete Puppe, ausgestopft mit Häcksel und einem Sack voll Bücher – darin die ganze empfindsame Literatur, von Rousseaus »Neuer Héloïse« bis zu den »Leiden des jungen Werther«. Man weiß jetzt: Die Gefühlsergüsse des Prinzen sind aus zweiter Hand und wenden sich an eine Attrappe. Alles ist unecht, die Natur wie auch die
Empfindsamkeiten
. Am Ende wird der Prinz vollends zum Narren gehalten, ihm werden die wirkliche Mandandane und die Puppe präsentiert, und er ist so sehr ins Künstliche verstrickt, daß er das Lebendige nicht mehr davon unterscheiden kann.
Das Stück wurde zum Geburtstag der Herzogin aufgeführt und fand nicht ungeteilten Beifall. Manche fanden, daß der Autor des
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