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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Charlotte gegenüber nennt er sie ein
Abenteuer
, das er gut
bestanden
habe. Wie es dabei im Einzelnen zuging, schildert er in der »Campagne in Frankreich«. Der Wirt des Gasthauses in Wernigerode, wo er eingekehrt war, hatte ihm den Weg zu Plessing gewiesen;
er glich seinem Briefe völlig, und so wie jenes Schreiben erregte er Interesse ohne Anziehungskraft auszuüben.
Goethe stellte sich als Zeichenkünstler aus Gotha vor. Das liege doch in der Nähe von Weimar. Seien ihm denn auch die berühmten Leute dort bekannt, fragte Plessing. Goethe, sein Inkognito wahrend, nannte einige, von Bertuch bis Musäus. Und den berühmten Goethe, den werden Sie doch auch getroffen haben, warum nennen Sie den nicht, unterbrach ihn der junge Mann ungeduldig. Er kenne ihn, antwortete Goethe, habe auch als Maler einige Förderung von ihm erfahren. Der junge Mann verlangte nun mit
einigem Ungestüm,
er solle ihm das
seltsame Individuum
schildern, das so viel von sich reden mache. Und nun gab Goethe eine Schilderung von sich selbst. Plessing kam nicht auf die Idee, daß sein Gegenüber Goethe selbst sein könnte. Es fehlte ihm der freie Blick, schreibt Goethe, Plessings Aufmerksamkeit sei nur nach innen gerichtet gewesen.
    Es war eine wunderliche Begegnung. Goethe mußte sich noch einmal den sehr langen Brief vorlesen lassen, den er doch so gut kannte, und sich die Klagen darüber anhören, daß auf den Brief keine Antwort erfolgt sei. Goethe wurde gefragt, was er denke, was Goethe gedacht haben mochte über diesen Brief und warum er nicht geantwortet habe, und was er allenfalls hätte antworten können. Goethe, sagte Goethe, würde wohl zu Bedenken gegeben haben,
man werde sich aus einem schmerzlichen, selbstquälerischen, düstern Seelenzustande nur durch Naturbeschauung und herzliche Teilnahme an der äußern Welt retten und befreien. Schon die allgemeinste Bekanntschaft mit der Natur, gleichviel von welcher Seite, ein tätiges Eingreifen, sei es als Gärtner oder Landbebauer, als Jäger oder Bergmann, ziehe uns von uns selbst ab; die Richtung geistiger Kräfte auf wirkliche, wahrhafte Erscheinungen gebe nach und nach das größte Behagen, Klarheit und Belehrung.
    Plessing wollte davon nichts hören, blieb in seinen Seelennöten gefangen und fuhr fort, seine Enttäuschungen über Menschen und Gegenden zu beklagen, von denen er sich andere Vorstellungen gemacht habe. Genau das sei das Problem, antwortete Goethe, man sollte sich von der Wirklichkeit überraschen lassen und ihr nicht die eigenen Vorstellungen überstülpen. Doch Plessing ließ sich nicht davon abbringen, sein
trübes Phantom
gegen den Wert einer
klaren Wirklichkeit
zu verteidigen. Goethe fand sich mit seinen Vorschlägen abgewiesen, und eingedenk der Mühen, die er auf sich genommen hatte, diesen Unglücklichen zu treffen, glaubte er, seine Schuldigkeit getan zu haben und fühlte sich gegen Plessing
von jeder weiteren Pflicht entbunden
.
    Nicht nur gegenüber Plessing. Es war nur ein Jahr her, daß er Lenz von sich gewiesen hatte. Bei Plessing suchte er Gewissensberuhigung auch in Bezug auf Lenz oder Klinger. Auffällig die Bemerkung, mit der die Erzählung der Plessing-Episode eingeleitet wird:
Ich hatte mir
〈...〉
schon eine Zahl von jungen Männern aufgebürdet, die, anstatt mit mir auf meinem Wege einer reineren höheren Bildung entgegen zu gehen, auf dem ihrigen verharrend, sich nicht besser befanden, und mich in meinen Fortschritten hinderten.
Goethe war also nach Wernigerode im Harz aufgebrochen auch, um Plessing gegenüberzutreten und um diese Geschichte, die ihn inzwischen belastet, endlich mit gutem Gewissen los zu werden. Plessing, der erst nach Goethes Abreise bemerkte, mit wem er es zu tun gehabt hatte, hielt hartnäckig an der Verbindung mit Goethe fest, besuchte ihn einmal sogar und schrieb ihm. Hin und wieder antwortete Goethe, auffällig bemüht, das Komfortable seiner Lebensumstände herunterzuspielen:
So viel kann ich Sie versichern daß ich mitten im Glück in einem anhaltenden Entsagen lebe.
    Plessing schaffte schließlich doch einen gewissen beruflichen Aufstieg, wurde Professor in Duisburg, schrieb einige Bücher und zahlreiche Briefe an berühmte Leute, lief in abgewetzten Kleidern umher und verschwand bisweilen für Wochen unauffindbar in den Wäldern:
Hinter ihm schlagen / Die Sträuche zusammen
, heißt es in der »Harzreise im Winter«.
    Und nun das dritte Motiv für die Harzreise:
Und Altar des lieblichsten Danks / Wird ihm des

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