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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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diesen anscheinenden Hyperbeln
〈...〉
fort und fort fahren
〈...〉
und weil sich doch auch das, wie man zu sagen pflegt nicht schickt, so muß ich darüber abbrechen, und das beste für mich behalten.
    Danach geht Goethe zusammen mit dem Herzog in Bergwerksangelegenheiten nach Ilmenau, und dort besteigt er an einem schönen klaren Spätsommerabend die höchste Erhebung, den Kickelhahn, wo er in der Jagdhütte übernachtet. Von dort aus schreibt er an Charlotte von Stein, schwelgt in liebevollen Erinnerungen an sie und schildert ihr, wie er sich in Einsamkeit
gebettet
habe, um
dem Verlangen, der Unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen auszuweichen
. Daß ihn dort auch ein Brief der Branconi erreichte, verschweigt er;
Ihr Brief,
wird er ihr später schreiben,
hätte nicht schöner und feierlicher bei mir eintreffen können
, ihm sei es vorgekommen, als habe sich ein
Komet
sehen lassen.
    Die
Verworrenheit
? Es war wohl dieses Gefühl, hin und her gerissen zu sein zwischen Charlotte und der Branconi. An diesem unruhigen Abend auf dem Kickelhahn entstand jenes unglaubliche Gedicht der schönsten Beruhigung:
    Über allen Gipfeln
    Ist Ruh,
    In allen Wipfeln
    Spürest du
    Kaum einen Hauch;
    Die Vögelein schweigen im Walde.
    Warte nur, balde
    Ruhest du auch.
    Zurück noch einmal zur Schweizer Reise ein Jahr zuvor.
    Die erhabene Ruhe über den Gipfeln war auch ein Nachklang der Stimmung in den Hochalpen. Den Anblick der Berge hatte Goethe in einem Brief an Charlotte mit den Worten geschildert:
Das Erhabene gibt der Seele die schöne Ruhe, sie wird ganz dadurch ausgefüllt, fühlt sich so groß als sie sein kann, und gibt ein reines Gefühl
. Man war von Basel aus südwestlich über Bern und den Genfer See in die Savoyischen Alpen und die Gletscher-Regionen des Wallis vorgedrungen, begünstigt von einem sonnigen Spätherbst im November. Manche Ortskundige hatten abgeraten, weil man jeden Augenblick mit einem Wintereinbruch rechnen müßte. Andere, wie der Professor Horace Bénédict de Saussure, ein berühmter Erforscher des Hochgebirges, hatten die Reisegruppe ermuntert, und so hatte man sich auf die zum Teil schwierige hochalpine Route begeben, von West nach Ost, über Chamonix und die Furka bis zum Gotthard. Goethe, den es mächtig in die Höhe zog, sorgte sich um den jungen Herzog, der seinerseits zu Tollkühnheiten neigte. Darum war es an ihm, den Reisegefährten bisweilen zu bremsen.
Wär ich allein gewesen
, schreibt er an Charlotte,
ich wäre höher und tiefer gegangen aber mit dem Herzog muß ich tun was mäßig ist.
Anders als bei der ersten Schweizer Reise, gab es für Goethe diesmal nicht die Lockung des Südens. Weil er sich für den Herzog verantwortlich fühlt, weiß er, daß er umkehren muß.
Auch jetzt reizt mich Italien nicht
, schreibt er von der Paßhöhe.
Daß dem Herzog diese Reise nichts nützen würde jetzo, daß es nicht gut wäre länger von Hause zu bleiben, daß ich Euch wiedersehen werde, alles wendet mein Auge zum zweitenmal vom gelobten Lande ab, ohne das zu sehen ich hoffentlich nicht sterben werde, und führt meinen Geist wieder nach meinem armen Dache, wo ich vergnügter als jemals Euch an meinem Kamin haben, und einen guten Braten auftischen werde.
    Doch noch steht ein Gipfelerlebnis anderer Art bevor, das Zusammentreffen mit Lavater in Zürich. Auch das gehörte zu dem Reinigungsprogramm, das Goethe sich und dem jungen Herzog verordnet hatte. Goethe hatte, wie bereits dargestellt, große Erwartungen gehegt, und sie wurden erfüllt.
Solche Wahrheit, Glauben, Liebe, Geduld, Stärke, Weisheit, Güte, Betriebsamkeit, Ganzheit, Mannigfaltigkeit, Ruhe pp ist weder in Israel noch unter den Heiden,
schreibt Goethe über Lavater, und:
er ist die Blüte der Menschheit, das Beste vom besten.
Die vierzehn Tage in der zweiten Novemberhälfte 1779 waren ein Höhepunkt in der Beziehung zwischen Goethe und Lavater, doch auch ein Wendepunkt, denn von da an setzte die allmähliche Entfremdung ein, die schließlich in einem Bruch endet.
    Bereits vor der Wiederbegegnung im Herbst 1779 gab Goethe zu erkennen, daß ihm mehr an der Person des Freundes lag als an dessen Glaubenswelt. Lavater war wirklich gläubig, er hielt mit Innigkeit am Wort Gottes fest, von den Büchern des Alten Testaments bis zum Neuen Testament. Für ihn galt das im buchstäblichen Sinne. Die Bibel war für ihn das offenbarte Wort Gottes, und das besaß lebensverbindliche Kraft. Für Goethe aber war es Poesie und allenfalls Zeugnis

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