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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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abgesteckt, und vielleicht gelang der persönliche Umgang gerade deshalb, weil das Trennende bewußt blieb. Man vereinigte sich über den Unterschied hinweg, doch war dafür die räumliche Nähe unentbehrlich. Wenn sie fehlt, wächst die Macht des Unterschieds. Nachdem die beiden wieder auseinandergegangen waren, dauerte es nicht mehr lange, und die räumliche Distanz konnte ihre entfremdende Wirkung entfalten. Wenn man nicht mehr im persönlichen Umgang aneinander glaubt, bekommt das, was man sonst noch glaubt und denkt, immer größeres Gewicht. Man versteht sich nicht mehr richtig, und am Ende will man sich gar nicht mehr verstehen. Solches geschah mit Goethe und Lavater.
    Nach Goethes Abreise aus Zürich blieb es noch eine Zeit lang bei der herzlichen Verbundenheit, zu der es gehörte, daß Goethe sich herausgefordert fühlte, den eigenen Lebensentwurf zu reflektieren – im Kontrast zu Lavater. So, als müßte er dem Freund, der sich der Leitung einer höheren Macht unterstellte, beweisen, daß er hinreichend von sich selbst geleitet würde. In seinen Briefen an Lavater aus der Zeit nach dem Zürich-Besuch faßt Goethe seinen Lebensentwurf in einprägsamen Bildern, etwa:
Das Tagewerk das mir aufgetragen ist, das mir täglich leichter und schwerer wird, erfordert wachend und träumend meine Gegenwart diese Pflicht wird mir täglich teurer, und darin wünscht ich’s den größten Menschen gleich zu tun, und in nicht
s größerm.
Diese Begierde, die Pyramide meines Daseins, deren Basis mir angegeben und gegründet ist, so hoch als möglich in die Luft zu spitzen, überwiegt alles andre und läßt kaum augenblickliches Vergessen zu. Ich darf mich nicht säumen, ich bin schon weit in Jahren vor, und vielleicht bricht mich das Schicksal in der Mitte, und der Babylonische Turm bleibt stumpf unvollendet. Wenigstens soll man sagen es war kühn entworfen und wenn ich lebe, sollen will’s Gott die Kräfte bis hinauf reichen.
    Dem Gottesmann, der sich eher demütig gibt, bekennt Goethe seinen Übermut bei der Arbeit am eigenen Leben als einem Turmbau von Babel. Hoch hinaus, doch fest gegründet. Gegründet nicht, wie bei Lavater, in Jenseitsverheißungen, sondern im Mut zu sich selbst und im Vertrauen auf die persönliche Schicksalsmacht. Von ferne klingt immer noch der kühne Prometheus-Ton an.
Mußt mir meine Erde / Doch lassen stehn // Und meine Hütte / Die du nicht gebaut.
    Zunehmend finden sich in Goethes Briefen an Lavater, die immer noch Rühmendes und Bekundungen der Herzlichkeit enthalten, auch spitze und sogar spöttische Bemerkungen, etwa wenn die zum Jahresanfang verfaßten Maskenspiele für den Weimarer Hof erwähnt werden und es dann heißt:
Wie du die Feste der Gottseligkeit ausschmückst so schmück ich die Aufzüge der Torheit.
Ein andermal neckte er Lavater, der, wie es bei den Frommen hieß, seinen »Jesum anziehen« will, mit der Bemerkung,
vom Geiste fallen mir täglich Schuppen und Nebel daß ich denke er müßte zuletzt ganz nackend dastehn
.
    Lavaters Glaube wurde Goethe dort suspekt, wo er sich nicht mehr von einem banalen Mystizismus unterschied. Im Januar 1781 besucht Lavater in Straßburg den Grafen Alessandro di Cagliostro, der aus Italien kam und in Wahrheit Giuseppe Balsamo hieß, und nennt ihn in einem Brief an Goethe die »personifizierte Kraft«. Lavater geht also einem Hochstapler auf den Leim, Goethe sieht das als ein Beispiel dafür, wie leicht edle Glaubensbereitschaft in Aberglauben umkippen kann:
Und doch sind Narr mit Kraft, und Lump so nah verwandt. Ich darf nichts drüber sagen.
Er hatte schon einiges dazu gesagt und vor allem geschrieben, etwa in dem »Fastnachtsspiel vom Pater Brey« oder im Drama »Satyros oder der vergötterte Waldteufel«, wo falsche Propheten und ihre törichten Anhänger verspottet werden. Daß nun auch Lavater solchem Hokuspokus zu verfallen droht, nimmt Goethe zum Anlaß einer scharfen Kritik am spiritistischen Unwesen. Er könne ganz gut verstehen, schreibt er an Lavater, wenn man das Bedürfnis verspürt, das
beschränkte Selbst
zu einem
Schwedenborgischen Geisteruniversum
zu erweitern. Ihm als Dichter sei das sogar selbstverständlich, aber eben nur als Dichter. Was macht der Dichter damit? Er reinigt solche Aufschwünge von dem
Albernen und Ekelhaften
, macht etwas Schönes daraus. Schönheit mag bestricken und verführen, sie hat aber nichts Zwingendes. Schönheit kommt aus dem freien Spiel und wendet sich an den freien Menschen. Sie verlangt

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