Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
keine Unterwerfung. Anders der Hokuspokus. Er macht dumm und gefügig. Goethe gerät in Rage:
Was soll ich aber zu Geistern sagen die solchen Menschen gehorchen, solches Zeug vorbringen und solche Handlungen begehen.
Geschrieben ist das einige Jahre bevor Cagliostro in den Wirbel der Halsband-Affäre geriet, bei der Goethe noch vor der Revolution den Einsturz der alten Gesellschaftsordnung befürchtet. Doch jetzt schon ahnt er Schlimmes beim kometenhaften Aufstieg Cagliostros.
Glaube mir,
schreibt er an Lavater,
unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Kloaken minieret, wie eine große Stadt zu sein pflegt
〈...〉
; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aus einer Schlucht aufsteigt, und hier wunderbare Stimmen gehört werden.
Wegen Lavaters Verführbarkeit fühlte sich Goethe berechtigt, schärfere Geschütze gegen dessen Glaubenswelt aufzufahren. Es sei ganz herrlich, schreibt Goethe über Lavaters Jesus-Liebe,
daß aus alten Zeiten uns ein Bild übrig blieb, in das du dein Alles übertragen, und, in ihm dich bespiegelnd dich selbst anbeten kannst
. Ein starkes Stück. Lavater, der sich sonst so demütig gibt, wird der heimlichen Selbstanbetung geziehen. Das wäre nicht weiter schlimm, so Goethe, wenn man es sich nur eingestände. Es mag sich dann jeder in seinem
Paradiesvogel
selbst verehren, man sollte aber anderen ihre Paradiesvögel lassen und nicht versuchen, ihnen die schönsten Federn auszureißen. Ein jeder kann sich sein eigenes Bild seines vergöttlichten Selbst schaffen, und es steht dem wirklich Frommen gut an, die schöpferische Freiheit auch im Religiösen zu achten und eine Welt zahlreicher Paradiesvögel gelten zu lassen. Eifersucht ist unnötig.
Goethe fordert also mehr Toleranz. Daran aber hatte es Lavater eigentlich nicht fehlen lassen; nicht umsonst hatte Goethe immer wieder dessen
Liberalität
gerühmt. Es war nicht die Toleranz des Gewährenlassens, die Goethe zunehmend vermißte. Hier war Lavater kein Vorwurf zu machen. Was Goethe ärgerte, war die herablassende Toleranz, die sich selbst in der Wahrheit und den anderen auf dem falschen Weg sieht. Das enerviert Goethe, bis es dann aus ihm herausbricht:
Ausschließliche Intoleranz! Verzeih mir diese harten Worte.
Für Goethe war Jesus ein vorbildlicher Mensch, im höchsten Maße liebenswert, ein Genie des Herzens und der Hingabe, aber kein Gott – und göttlich nur insofern, als in jedem ein göttlicher Funke lebt. Ein Mensch also, mehr nicht. Goethe zweifelt nicht daran, daß er historisch existiert hat. Was von ihm bis heute wirkt, ist das Bild, das die Evangelien zeichnen. Was ihre Wirkung betrifft, so handelt es sich demnach nicht um ein Offenbarungsgeschehen, sondern um die Macht der Literatur. Wenn Lavater so hinreißend über Jesus schreibt, so ist das eben auch nur Literatur und als solche, aber auch nur als solche, schätzenswert.
Die nur literarische Anerkennung ist Lavater zu wenig. Jesus existiert nicht wie eine Romanfigur. Er ist nicht der fiktive Träger von Bedeutungen. Lavater besteht darauf: Jesus bedeutet nicht Gottessohnschaft, er ist der Sohn Gottes; er ist es genauso wie beispielsweise Goethe ganz real in Weimar ist. Wenn er aber der Sohn Gottes ist, dann sind auch die Wunder – wie das Gehen auf dem Wasser, die Speisung der Hungrigen und die Auferstehung – nicht nur im übertragenen Sinne, sondern faktisch wahr. Bei Lavater läuft alles darauf hinaus: Es gibt das Übernatürliche, es ist Ausdruck göttlicher Macht. Dagegen protestiert Goethe. Für ihn ist Natur, was sich den fünf Sinnen empirisch erschließt, alles andere ist Spekulation und Poesie, achtenswert als Ausdruck des menschlichen Geistes, doch nicht Teil des realistischen Bildes von der Welt. Das Übernatürliche als eigentliche Manifestation des Göttlichen anzusehen, gilt ihm als
Lästerungen gegen den großen Gott und seine Offenbarung in der Natur
.
Insofern also Jesus als der Gottessohn mit allen seinen Wundern wirklich existiert haben soll, erklärt sich Goethe als –
dezidierter Nichtchrist
. Das klingt nicht nur entschlossen, es ist auch so gemeint. Er möchte von Lavaters Prophetentum nicht mehr behelligt werden und versucht die Regel für den weiteren Umgang mit ihm festzulegen:
Drum laß mich deine Menschen Stimme hören damit wir von
der
Seite verbunden bleiben, da es von der andern nicht
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