Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Ereignis, das sofort als Gerücht – die »Kreuzigung Jacobis« – umlief und Jacobi empört und verletzt die Freundschaft mit Goethe aufkündigen ließ.
In einem Brief an Lavater erklärte Goethe, was ihn gegen dieses Buch aufgebracht hatte. Er nennt es den
Geruch von
Prätension. Das Buch ist nur halbgelungen, es fehlt die Meisterschaft, es kommt aber meisterlich daher. Sein Anspruch ist nicht von einer entsprechenden sittlichen, ästhetischen oder charakterlichen Substanz gedeckt. Auch das ist, nach Goethes Sprachgebrauch, eine Unreinheit. Moralische Eitelkeit kommt dazu. Der Woldemar des Romans ist ein wahrer Tugendbold, der mit Henriette in einer nicht vollzogenen Ehe keusch lebt und sich von ihr an ihre Freundin verheiraten läßt. Sodann bilden die drei einen Bund der Liebe und der Freundschaft, in dem es überaus gefühlvoll doch offenbar ganz unkörperlich zugeht. Alle sind gut und edel, insbesondere die Figur Woldemar erschien Goethe von unerträglicher Selbstgefälligkeit. Man brauche nur ein paar Zeilen zu ändern, erklärte er später Johanna Fahlmer, die ja mit Jacobi verwandt war, »so sei es unausbleiblich und nicht anders, als der Teufel müsse ihn da holen.«
Es läßt sich allerdings daran zweifeln, ob Goethes Empörung über solche moralische Prätensionen ganz
rein
war, ob nicht noch ein ganz anderer Ärger im Spiel war. Denn immerhin konnte er in der Darstellung einer nicht vollzogenen Ehe zur Not sein eigenes Verhältnis zu Charlotte von Stein abgeschildert finden. Vielleicht war es auch das, was ihn verärgerte und wogegen er sich mit Spott wehrte.
Das Lebensprogramm der Reinheit war formuliert worden im Augenblick der Zäsur, die sich durch den nahen Aufbruch zu einer größeren Reise ergab. Eine Bereinigung war es auch, als er am 7. August 1779 Briefe und Notizen vernichtete. Da damals das Reisen gefährlich war, mußte man ernsthafter als heute Vorsorge treffen, falls man nicht mehr zurückkommen würde. Das ist ein Autodafé im Sinne dieser Vorsorge, es ist aber auch eine jener von ihm zumeist als
Häutungen
bezeichneten inneren Wandlungen, bei der das Überlebte abgestoßen wird. Diesmal steht die Wandlung im Zeichen der Reinheit. Deshalb wird der Besuch bei Lavater in Zürich eine so große Rolle spielen, denn Lavater ist für ihn zu diesem Zeitpunkt noch ein glaubwürdiger und darum verehrter Reinheitsapostel.
Nur wenige Tage vor Reisebeginn, am 5. September 1779, erhält Goethe die Ernennung zum Geheimen Rat. An Charlotte von Stein schreibt er:
es kommt mir wunderbar vor daß ich so wie im Traum, mit dem 30ten Jahre die höchste Ehrenstufe die ein Bürger in Teutschland erreichen kann, betrete
.
Am 12. September bricht die Reisegesellschaft, bestehend aus dem Herzog, dem Oberforstmeister von Wedel, Goethe und einigen Bediensteten, darunter auch Goethes Diener Philipp Seidel, auf. Das offizielle Reiseziel war Frankfurt und der Niederrhein, Köln und Düsseldorf. In Weimar war man überrascht, als es dann schließlich doch in den Süden ging. Der Herzog versicherte, daß es ihm nicht anders ergangen sei, auch er sei von der Veränderung des Reiseziels überrascht worden. Seiner Mutter Anna Amalia schreibt er: »Es tut mir leid, daß Sie mir nicht aufs Wort glauben und meinen, ich hätte Ihnen ein Geheimnis aus der großen Reise gemacht; ich muß es also wiederholen, nur zwischen Friedberg und Frankfurt, just halben Wegs wurde es resolviert; da erfuhr ich’s und die andern, durch Eingebung des Engels Gabriel.« Der Engel Gabriel ist Goethe. Er soll das Reiseziel aus eigener Machtvollkommenheit bestimmt haben. Das ist schwer zu glauben, so selbstherrlich konnte Goethe gegenüber seinem Herzog nicht agieren. Wahrscheinlich werden die beiden eine entsprechende Verabredung getroffen haben.
Goethe verfolgte mit der Reise eine erzieherische Absicht in Bezug auf den Herzog, der sie seinerseits als eine Art verspätete Kavalierstour verstand. Deshalb reiste man inkognito, auch wenn an den Höfen, die man besuchte, die wahre Identität der Reisenden nicht verborgen blieb. Goethe wollte seinen Herzog in das Programm der Selbstreinigung einbeziehen. Deshalb lag ihm so viel daran, daß der Herzog in Zürich mit Lavater zusammentreffen würde.
Lavatern zu sehn und ihn dem Herzog näher zu wissen ist meine größte Hoffnung
, schreibt er von Emmendingen aus an Charlotte von Stein. Er hoffte, daß Lavaters sanfte Natur und seine nicht bigotte dafür herzliche Frömmigkeit das ungestüme Wesen
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