Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Lessing, Jacobi und das »Prometheus«-Gedicht:
»Zündkraut einer Explosion«. Naturalismus und Idealismus:
Verhärtung oder Vereinigung. Jacobis Glaubensphilosophie
und Goethes Naturkunde. Der Zwischenkieferknochen.
Wiederherstellung der Freundschaft mit Herder.
Nach der Rückkehr aus der Schweiz stürzte sich Goethe wieder in die Amtsgeschäfte. Im April 1780 verließ Kalb die Bergwerkskommission, und Goethe übernahm als Vorsitzender der Kommission auch die Verantwortung für die Silberbergwerke von Ilmenau. Unter praktischen Gesichtspunkten, um sich fachkundig zu machen, begann er seine mineralogischen Studien. Er überließ sich dem Zauber einer Welt, in der es stetig, beharrlich, langsam zugeht, im Unterschied zum flutenden Geschehen des inneren Erlebens:
tausend und tausend Gedanken steigen in mir auf und ab.
Meine Seele ist wie ein ewiges Feuerwerk ohne Rast
, schreibt er um diese Zeit an Charlotte von Stein. Unruhe findet er in sich selbst genug, in der Natur aber, in der Welt der Steine und besonders beim Granit, glaubt er Ruhe zu finden, auch wenn manche Poeten, wie er in dem Textentwurf »Granit I« schreibt, törichterweise sogar dort ein
uneinig tobendes Chaos vorgebildet
sehen wollen. Steigt man in sich selbst hinab, verliert man jeden Halt. Es gibt dort nichts Festes, alles ist in Bewegung, der Granit aber, auf den man im Erdreich stößt, gibt eine verläßliche Unterlage, eine
Grundfeste
.
Der 1784 geschriebene Text über den Granit gibt hinreichende Auskunft über jenes Verlangen, das Goethe zu seinen Naturstudien antreibt:
Und so wird jeder der den Reiz kennt den natürliche Geheimnisse für den Menschen haben, sich nicht wundern daß ich den Kreis der Beobachtungen den ich sonst betreten, verlassen und mich mit einer recht leidenschaftlichen Neigung in diesen gewandt habe. Ich fürchte den Vorwurf nicht daß es ein Geist des Widerspruches sein müsse der mich von Betrachtung und Schilderung des menschlichen Herzens des jüngsten mannigfaltigsten beweglichsten veränderlichsten, erschütterlichsten Teiles der Schöpfung zu der Beobachtung des ältesten, festesten, tiefsten, unerschütterlichsten Sohnes der Natur geführt hat.
〈...〉
Ja man gönne mir, der ich durch die Abwechselungen der menschlichen Gesinnungen, durch die schnellen Bewegungen derselben in mir selbst und in andern manches gelitten habe und leide, die erhabene Ruhe, die jene einsame stumme Nähe der großen leise sprechenden Natur gewährt, und wer davon eine Ahndung hat folge mir.
Die
schnellen Bewegungen
seines Gemüts haben ihn leiden lassen, schreibt er. Sie haben aber auch anderen Leid zugefügt. Da war zum Beispiel die öffentliche Verspottung des Romans »Woldemar« von Fritz Jacobi kurz vor Antritt der Reise in die Schweiz. Der Freund hatte ihm sogleich geschrieben, als er von der sogenannten »Kreuzigung Woldemars« Nachricht erhielt. Er bat um eine Klärung, da er sich nicht auf Gerüchte verlassen wollte. Goethe antwortete nicht, obwohl der Freund schrieb, ein Stillschweigen würde er als Bestätigung ansehen müssen. Was sollte Goethe schreiben? Er konnte und wollte nicht ableugnen, was geschehen war. Der Roman hatte ihm mißfallen und mißfiel ihm noch immer. Deshalb einen Freund verlieren? Er befand sich in einem Zwiespalt, der vielleicht weniger schmerzlich gewesen wäre, hätte er erfahren, was Jacobi an Johanna Schlosser schrieb. Diese Angelegenheit habe ihm, heißt es in Jacobis Brief, »den Charakter dieses aufgeblasenen Gecken noch um ein gut Teil ekelhafter und verächtlicher gemacht. Ich kehre ihm auf ewig den Rücken zu, wie fast alle rechtschaffene Männer unserer Nation lange vor mir schon getan haben. 〈...〉 Ich danke Gott dafür, daß wir geschiedene Leute sind.« Eine solche Beurteilung durch einen Freund, wäre sie ihm bekannt geworden, hätte wohl auch bei Goethe die innere Verbindung zu Jacobi endgültig zerstört, ohne Zwiespalt.
Drei Jahre hatten die beiden keinen Kontakt, dann wurden bei Goethe Schuldgefühle geweckt, als die Schlossers und seine Mutter ihn an seine Schulden bei Jacobi erinnerten. Jacobi hatte ihm vor einigen Jahren für die Übersiedlung nach Weimar Geld vorgestreckt. Dieser noch nicht beglichenen Schulden wegen brach Goethe das Schweigen und bat um Verzeihung:
Wenn man älter und die Welt enger wird denkt man denn freilich manchmal mit Wunden an die Zeiten wo man sich zum Zeitvertreibe Freunde verscherzt, und in leichtsinnigem Übermut die Wunden die man schlägt
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