Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Spinozismus, für ihn der reine Atheismus, in Schutz nahm. Mendelssohn starb, ehe die Schrift herauskam. Man sagte damals, er sei vor Ärger und Kummer gestorben und Jacobi habe ihn auf dem Gewissen. Goethe läßt in »Dichtung und Wahrheit« diese Version anklingen. Tatsächlich hatte sich Mendelssohn im Januar 1786, als er das Manuskript zum Verleger brachte, eine schwere Erkältung zugezogen, an der er starb.
Lessings Bekenntnis zu Spinoza war eine spontane Reaktion auf das noch unveröffentlichte Prometheus-Gedicht Goethes gewesen. Jacobi hatte es Lessing gezeigt. Lessings Bemerkung, daß die orthodoxen Begriffe der Gottheit nichts mehr für ihn seien, war als Zustimmung zu jenem Gedicht gemeint, das in kühner Selbstermächtigung dem Götterhimmel eine trotzige Absage erteilt:
Mußt mir meine Erde / Doch lassen stehn. //
〈...〉 //
Ich kenne nichts ärmers / Unter der Sonn als euch Götter.
Nun hatte Jacobi das Gedicht ohne Goethes Zustimmung zusammen mit seiner Spinoza-Schrift veröffentlicht. Das ärgerte Goethe um so mehr, als Jacobi im Text ausdrücklich auf die Möglichkeit der Zensur hinwies und deshalb das Gedicht als loses Blatt dem Buch beilegen ließ; die Gebrauchsanleitung ließ der übervorsichtige Jacobi gleich mit abdrucken: »Das Gedicht Prometheus 〈...〉 ist besonders gedruckt worden, damit jedweder, der es in seinem Exemplar lieber nicht hätte, es nicht darin zu haben braucht. 〈...〉 Es ist nicht ganz unmöglich, daß an diesem oder jenem Orte meine Schrift, des Prometheus wegen, konfisziert würde. Ich hoffe, man wird nun an solchen Orten sich begnügen, das strafbare besondere Blatt allein aus dem Wege zu räumen.«
Das »strafbare Blatt«? Diese Formulierung war für Goethe empörend, auch wenn er das taktische Kalkül des Freundes verstand. Er bemühte sich aber zunächst, die Angelegenheit von der heiteren Seite zu nehmen.
Herder findet lustig daß ich bei dieser Gelegenheit mit Lessing auf Einen Scheiterhaufen zu sitzen komme
, schreibt er an Jacobi.
Jacobi hatte in seiner Schrift nicht nur seine eigene Glaubens-Philosophie entwickelt, er hatte auch die Philosophie Spinozas so verständlich dargelegt, daß im Publikum nicht ganz klar war, ob Jacobi nicht vielleicht selbst ein Spinozist sei. Diese Schrift machte nicht nur das »Prometheus«-Gedicht bekannt, sie bewirkte auch die Rückkehr der Philosophie Spinozas in eine breitere Öffentlichkeit. Von nun an repräsentierte sie eine bedeutende Denkmöglichkeit eines spiritualisierten Naturalismus, eine unentbehrliche Quelle für die schöpferische Entwicklung der Philosophie in den folgenden Jahrzehnten. Deshalb war das Jahr 1785 mit dem Erscheinen der Spinoza-Schrift von Jacobi ein wichtiges Datum in der Geschichte des Deutschen Idealismus.
Da gab es einerseits die naturphilosophische Betrachtungsart, die von der Natur ausging und von dort her das Ganze der erkennbaren Welt zu entfalten suchte, wobei die einen die Natur mechanisch und blind wirkend verstanden, die anderen, wie Herder und Goethe, als allseits belebendes Prinzip. Einerseits also die mechanische Natur, andererseits die vital-dynamische Natur. Aber gemeinsam war beiden Richtungen der Ausgangspunkt beim Objektiven, bei einer Natur also, wie sie sich der äußeren Beobachtung zeigt.
Im Gegensatz zu diesen Anhängern des Objektiven standen diejenigen, die den Ausgangspunkt bei der Selbsterfahrung des subjektiven Geistes suchten. Im Extrem geschah das bei Johann Gottlieb Fichte. Für Fichte war der freie Gestaltungswille, der sich im Ich-Bewußtsein zeigt, das Modell für die innere Dynamik des Welt- und Naturprozesses. Doch der Ansatz beim subjektiven Geist konnte auch verschiedene Richtungen nehmen. Bei Jacobi zum Beispiel steht die Erfahrung des Glaubens im Mittelpunkt, bei Fichte ist es das Denken und die Reflexion darüber. Doch wie gesagt: Der gemeinsame Ausgangspunkt ist beim subjektiven Geist, nicht bei der Natur.
Das also ist die große Verzweigung. Die einen beginnen bei der Natur und gelangen, wenn sie dem Naturalismus entkommen, bis zum Geist; die anderen beginnen beim subjektiven Geist und kommen, wenn sie sich nicht in der Welt der Ideen verlieren, zur geisterfüllten Natur. Man kann auch sagen: Die einen holen den Geist in die Natur, die anderen die Natur in den Geist. Doch so entwickeln sich die Dinge nur, wenn sich die beiden Richtungen nicht gegeneinander verhärten mit der Folge, daß die einen im geistfernen Naturalismus, die anderen im
Weitere Kostenlose Bücher