Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Selbstbeschränkung ist eines Vernunftwesens unwürdig, aber, so die ironische Schlußwendung, vielleicht ist sie eine
Gnade der Natur
, die den Beschränkten mit einer
Zufriedenheit seiner Enge versorgt hat.
Die bei Spinoza alles beherrschende Idee der Notwendigkeit hebt Goethe nicht eigens hervor. In einem Brief an Knebel hat er das für ihn Nötige dazu gesagt:
Die Konsequenz der Natur tröstet schön über die Inkonsequenz der Menschen
. Er läßt sich nicht auf eine langwierige Diskussion über das Problem der Freiheit des Willens ein. Ihm genügt die stoische Gelassenheit, die Spinoza aus dem Begriff der Notwendigkeit gewinnt. Die damit verbundene Ruhe bewundert er, und er wünscht sich, sie möge auf ihn übergehen. Deshalb liest er Spinoza bisweilen auch
mit der größten Erbauung zum Abendsegen
.
Es war, wie schon gesagt, Jacobi, der Goethe wieder auf die Spur Spinozas setzte. Goethe wußte, daß der Freund eine Veröffentlichung zu Spinoza vorbereitete. Er ahnte aber nicht, daß er selbst darin mit der bisher noch unveröffentlichten Ode »Prometheus« (
Bedecke deinen Himmel, Zeus
) eine unfreiwillige Rolle spielen würde. Im fünfzehnten Buch von »Dichtung und Wahrheit« spricht er bei der Schilderung der Wirkung des »Prometheus«-Gedichtes davon, daß dieses unschuldige Gedicht
zum Zündkraut einer Explosion
diente,
welche die geheimsten Verhältnisse würdiger Männer aufdeckte und zur Sprache brachte: Verhältnisse, die ihnen selbst unbewußt, in einer sonst höchst aufgeklärten Gesellschaft schlummerten. Der Riß war so gewaltsam, daß wir darüber, bei eintretenden Zufälligkeiten, einen unserer würdigsten Männer, Mendelssohn, verloren.
Im Herbst 1785 erscheint Jacobis Schrift »Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn«.
Die Sache hat eine verwickelte Vorgeschichte, das Entscheidende dabei ist: Jacobi hatte im Sommer 1780 mit Lessing kurz vor dessen Tod ein ausführliches Gespräch gehabt, in welchem Lessing ihm gegenüber ein Bekenntnis zu Spinoza abgelegt hatte. Nach dem Bericht Jacobis soll Lessing gesagt haben: »Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich, ich kann sie nicht genießen. Hen kai pan 〈Ein und alles〉! Ich weiß nichts anderes«. Darauf Jacobi: »Da wären Sie ja mit Spinoza ziemlich einverstanden«. Lessing: »Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern«.
Jacobi hatte davon gehört, daß Mendelssohn ein Werk über den Charakter seines inzwischen verstorbenen Freundes Lessing zu veröffentlichen beabsichtigte und ließ bei ihm anfragen, ob ihm denn bekannt sei, daß Lessing in seinen letzten Tagen ein »entschiedener Spinozist« gewesen sei. Mendelssohn, ein bekennender Deist und entschiedener Gegner des Pantheismus, war aufs höchste beunruhigt und bat Jacobi um nähere Auskünfte. Jacobi verfaßte ein Gesprächsprotokoll und schickte es ihm. Aus dem Freundeskreis Mendelssohns bekam Jacobi zu hören, es sei besser, Lessings Spinozismus so weit zu »verhehlen, als die Heiligkeit der Wahrheit es immer verstattet«. Spinoza galt eben immer noch als gefährlicher Ketzer, als atheistischer Wolf im pantheistischen Schafspelz. Die bislang einzige deutsche Übersetzung von Spinozas »Ethik« konnte nur getarnt als polemische Schrift des Christian Wolff gegen Spinoza erscheinen. Und nun: Lessing – ein Spinozist! Für die gebildete Öffentlichkeit war das eine Sensation, gar ein Skandal. Natürlich galt Lessing als freier Geist und origineller Kopf mit einem eigenen Verständnis von Christentum, doch den Glauben an einen personalen Gott setzte man auch bei ihm voraus. Jedenfalls hielt Mendelssohn dafür. Wer sich aber zu Spinoza bekannte, bestritt die Existenz Gottes als außerweltliches Gegenüber, bestritt eine transzendente personale Macht, die sich anbeten läßt, die gnädig oder ungnädig sein kann. Gott im spinozistischen Sinne ist nichts weiter als der Inbegriff von allem, was ist, und er wirkt durch die Kausalität zwischen Dingen und Menschen.
Auf Jacobis Brief hatte Mendelssohn noch zögernd und abwartend reagiert. Er hatte eine ausführliche Erwiderung und Klärung des Sachverhaltes angekündigt, war aber nicht damit herausgerückt. Deshalb ließ Jacobi die Schrift schließlich im Herbst 1785 erscheinen. Erst danach verfaßte Mendelssohn seine umfangreiche Antwort »An die Freunde Lessings«, in der er seinen verstorbenen Freund gegen den von ihm als Verleumdung empfundenen Vorwurf des
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