Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
wirklichkeitsfernen Idealismus stecken bleiben. Mit dieser entschiedenen Entgegensetzung aber rechnet Jacobi: »Es gibt nur zwei voneinander wesentlich verschiedene Philosophien. Ich will sie Platonismus und Spinozismus nennen. Zwischen diesen beiden Geistern kann man wählen, d.h. man kann ergriffen werden von dem einen oder von dem anderen, so daß man ihm allein anhangen, ihn allein für den Geist der Wahrheit halten muß«. Ebenso formulierte Fichte die Alternative: »Es sind nur diese beiden philosophischen Systeme 〈...〉 möglich 〈...〉 Keines dieser beiden Systeme kann das entgegengesetzte direkt widerlegen ... jedes leugnet dem entgegengesetzten alles ab, und sie haben keinen Punkt gemein, von welchem aus sie sich einander gegenseitig verständigen und sich vereinigen könnten«.
So war es denn doch nicht. Die erregenden Bewegungen des Denkens der nächsten Jahrzehnte werden genau auf solche Vereinigungen von Natur und Geist gerichtet sein. Besonders Schelling und Hegel werden nach Formeln der Synthese suchen, in denen schließlich Natur als unbewußter Geist verstanden werden kann und Geist als bewußte Natur. Auch Goethe gehört in diese großartige Bewegung der Vereinigung der Gegensätze von Geist und Natur.
Um auf Jacobi zurückzukommen: Er hielt nichts von der großen Vereinigung. Er war davon überzeugt, daß der rechnende, messende, streng logisch und empirisch verfahrende Verstand nie die Grenze der Immanenz überschreitet. Er plädierte für einen erweiterten Begriff der Vernunft. Ist, so fragt er, die Vernunft mit dem logisch und empirisch verfahrenden Verstand identisch? Nein. In der Vernunft steckt das Vernehmen-Können. Wir sind tagtäglich, und in der Kindheit sowieso, stets auf das angewiesen, was wir glaubend empfangen. Der Glaube ist das Primäre. Da wir selbst so wenig wissen, müssen wir an das Wissen der anderen glauben. In der Regel sind wir gläubige Mitwisser. Sogar an das eigene Wissen müssen wir glauben, andernfalls hat es keine lebensbestimmende Kraft. Wissen, das nicht mit der Glaubenskraft verbunden ist, bleibt blaß, verschwindet schnell und wird vergessen. Der Glaube ist etwas grundlegend Vitales. Man kann nicht darauf verzichten, selbst im Wissen nicht, und noch viel weniger bei den sonstigen Lebensvollzügen. Jacobi geht gegen das große Mißverständnis an, der Glaube spiele nur im religiösen Bereich eine Rolle, also im Verhältnis zu Gott. In jeder personalen Beziehung wirkt Glaube. Nicht nur auf das ganz Andere, also Gott, sind wir im Glauben bezogen, sondern auch dem gewöhnlichen Anderen, dem Mitmenschen, können wir angemessen nur im Glauben begegnen. Wir nennen es Vertrauen. Jacobis Philosophie ist ein Versuch, den Glauben als die Grundlage für Erfahrung, Wissen und Denken auszuweisen. Spinoza, der den ganz anderen Denktypus repräsentiert, war für ihn ein Gegner höchsten Ranges, dessen Gedanken er deshalb mit so großem Verständnis nachvollzog. Er wollte es sich nicht leicht machen. Der Glaube sollte gegen einen wahrhaft großen Gegner das Feld behaupten.
Bei Goethe nun fand Jacobi mit seinem Kampf des Glaubens gegen die Anmaßungen des Wissens keine Zustimmung. Zunächst beschränkte sich Goethe auf einige wenige prägnante Bemerkungen, wie:
Er
〈Spinoza〉
beweist nicht das Dasein Gottes, das Dasein ist Gott.
Und:
Vergib mir daß ich so gerne schweige wenn von einem göttlichen Wesen die Rede ist, das ich nur in und aus den rebus singularibus
〈den Einzeldingen〉
erkenne
; doch von Jacobi gedrängt, rückte er schließlich mit seiner Meinung heraus:
Daß ich dir über dein Büchlein nicht mehr geschrieben verzeih! Ich mag weder vornehm noch gleichgültig scheinen. Du weißt daß ich über die Sache selbst nicht deiner Meinung bin.
〈...〉
Eben so wenig kann ich billigen wie du am Schlusse mit den Worten
glauben
umgehst, dir kann ich diese Manier noch nicht passieren lassen, sie gehört nur für Glaubenssophisten, denen es höchst angelegen sein muß alle Gewißheit des Wissens zu verdunkeln, und mit den Wolken ihres schwankenden luftigen Reichs zu überziehen, da sie die Grundfesten der Wahrheit doch nicht erschüttern können.
Die
Grundfesten der Wahrheit
fand Goethe, als er diesen Brief an Jacobi schrieb, in seinen Naturstudien, die er jetzt mit Fleiß und Hingabe betrieb: Mineralogie, Anatomie und Pflanzenkunde. Im Rückblick schildert er in einem von Kanzler Müller berichteten Gespräch seine diesbezügliche Entwicklung.
Ich kam höchst
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