Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
hatte er seine Stelle in Weimar eher als eine ehrenvolle Sinekure angesehen, die ihm viel Zeit für schriftstellerische Arbeit lassen würde. Goethe hatte ihm Versprechungen in diesem Sinne gemacht. Es war aber anders gekommen. Er wurde mit Amtspflichten überhäuft, und seine literarische Produktion stockte. Das verbitterte ihn. Er befürchtete, seine besten Jahre zu verlieren. Eifersüchtig beobachtete er die Karriere Goethes, den er zuvor ja oft gönnerhaft und von oben herab wie einen Schüler behandelt hatte. Goethe hatte es hingenommen, er hatte ihn eine Weile als seinen ›Meister‹ gelten lassen. Mit Goethes schriftstellerischem Durchbruch 1774 begann die Änderung des Rangverhältnisses. In Weimar spielte Goethe dann vollends die Hauptrolle, und Herder fühlte sich ihm gegenüber zurückgesetzt. Verbittert schrieb er 1782 an seinen Freund Hamann über Goethe: »Er ist also jetzt Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter, dabei auch Directeur des plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken usw., Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten; selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz, das Faktotum des Weimarschen und, so Gott will, bald der Major domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht. Er ist baronisiert, und an seinem Geburtstage ... wird die Standeserhebung erklärt werden. Er ist aus seinem Garten in die Stadt gezogen und macht ein adlig Haus, hält Lesegesellschaften, die sich bald in Assembleen verwandeln werden usw. usw. Bei alledem geht’s in Geschäften, wie es gehen will und mag. Meine Gegenwart ist hier beinah unnütz und wird mir von Tag zu Tag lästiger. Was anderswohin weiß, sehnt sich weg ...«
Es war Goethe, der im Sommer 1783 wieder auf Herder zuging. Goethe verspürte, wie damals vor dem Aufbruch zur Reise in die Schweiz, wieder einmal das Bedürfnis nach Reinigung und Klärung persönlicher Verhältnisse. Deshalb hatte er wenige Monate zuvor die Verbindung mit Jacobi wieder angeknüpft. Deshalb hatte er auch nach langer Zeit an die Kestners geschrieben und sich nochmals für die Unbill entschuldigt, die sie in der Folge des »Werther« hatten ertragen müssen. Nun also die Wiederherstellung der Freundschaft mit Herder.
Auch Herder war wieder reif dafür. Er war unzufrieden mit sich gewesen. Er fühlte seine schöpferischen Kräfte stocken. Er trug sich mit einem großen Werk der Kulturanthropologie und der Naturgeschichte. Der Anspruch war sehr hoch, es hatte seit Giambattista Vico so etwas nicht mehr gegeben. Er hatte gezögert, nun aber wuchs in ihm das Gefühl, daß er damit durchkommen könnte. Die Krise war überwunden. Das Schreiben ging ihm wieder von der Hand. Und so konnte er dem alten und dem neuen Freund mit einigem Selbstbewußtsein gegenübertreten. Die Materien, in die Herder sich vertiefte, interessierten Goethe, der sich gerade seinen Naturstudien hingab. Kapitel für Kapitel las er das entstehende große Werk, die »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit«, und war so erfüllt davon, daß er auch Charlotte von Stein an seiner Begeisterung teilnehmen ließ, die ihrerseits Knebel mitteilt: »Herders neue Schrift macht wahrscheinlich, daß wir erst Pflanzen und Tiere waren; was nun die Natur weiter aus uns stampfen wird, wird uns wohl unbekannt bleiben. Goethe grübelt jetzt gar denkreich in diesen Dingen, und jedes, was erst durch seine Vorstellung gegangen ist, wird äußerst interessant. So sind mir’s durch ihn die gehässigen Knochen geworden und das öde Steinreich.«
Die erneuerte Freundschaft empfanden beide, Goethe und Herder, als beglückend. Man hatte sich viel zu sagen, sprach über Taten und Werke, mit Hingabe und ohne Eifersucht. Herder an Jacobi: »Goethe besucht mich fleißig, und seine Gesellschaft erquickt mich wie Balsam«. Goethe an Lavater:
Eine der vorzüglichsten Glückseligkeiten meines Lebens ist daß ich und Herder nichts mehr zwischen uns haben das uns trennte.
Wäre ich nicht so ein ehrner Schweiger, so hätte sich alles früher gelöst, dafür ist’s aber auch für immer
.
Für immer war es doch nicht. Zehn Jahre dauerte die Freundschaft, dann trübte sich das Verhältnis wieder ein, als mit Schiller eine andere große Freundschaft im Leben Goethes
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