Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
begann.
Anmerkungen
Siebzehntes Kapitel
In Weimar bleiben? Schwierigkeiten der Doppelexistenz.
Entstehung des »Tasso«. Ämter ohne Werke. Krise. Die Gesamtausgabe:
ein Friedhof von Fragmenten? Goethe will sein Leben ändern.
Flucht nach Italien als Selbstprüfung. Die Risiken.
Heimlichkeiten des Aufbruchs.
Er wolle die
Pyramide
seines Daseins in die
Luft zu spitzen
, hatte Goethe im September 1780 geschrieben. Er war zuversichtlich, daß ihm das auch im Dienste des Herzogs gelingen würde. Im Jahr danach häufen sich in den Briefen an Charlotte von Stein die Klagen über den Herzog. Er sei ein guter Bursche, herzlich, offen, aber es fehle ihm doch eine feinere Bildung. Die Jagd, die Frauen, das Herumstreichen in den Wäldern, das Soldatenspiel, das Exerzieren und Kommandieren, die politischen Ränke in Berlin – das seien dessen wahre Interessen, die von den seinigen doch sehr weit ablägen. Er sei ihm zwar treu ergeben, weil er ihn als einen Menschen schätze, der in seiner Art das Rechte weiß und es recht zu tun wisse. Und doch zweifelt er bisweilen, ob er in Weimar wirklich am richtigen Platze sei. Vielleicht will er Charlotte damit auch nur alarmieren und von ihr die Bitte hören, er möge doch bleiben – ihr zuliebe. Das wird sie ihm vielleicht auch geschrieben haben. Da ihre Briefe vernichtet sind, wissen wir es nicht.
In diesem Jahr 1781 mußten nicht nur Charlotte, sondern auch andere Freunde und Bekannte den Eindruck gewinnen, das Leben in Weimar bekomme Goethe nicht sonderlich gut. Wieland fand ihn abgemagert, Herder kam er unzufrieden vor, bei Hofe fand man ihn steif und kalt, und manche, die sich in ihrem Fortkommen behindert fanden, wünschten seinen Abgang.
Auch Merck in Darmstadt, der zuletzt im Herbst 1780 Weimar besucht hatte, war überzeugt, der Freund habe nun lange genug bei Hofe ausgehalten. Er steckte sich hinter die Mutter in Frankfurt, die dem Sohn dann sehr beunruhigt Mercks Äußerungen mitteilte. Sie sollte alles daran setzen, hatte er gesagt, »Ihn wieder her zu kriegen, das dortige Infame Clima ist Ihm gewiß nicht zuträglich – Die Hauptsache hat Er zu stande gebracht – der Herzog ist nun wie Er sein soll, das andre Dreckwesen – kan ein anderer thun, dazu ist Goethe zu gut u.s.w.«
Goethe, der bisweilen Merck seinen
Mephistopheles
nannte, war diesmal über das Zureden des Freundes wirklich verärgert. An Charlotte schrieb er im Juli 1781:
ein böser Genius
〈...〉
schildert mir die lästigste Seite meines Zustandes und rät mir mich mit der Flucht zu retten
. Noch schlägt sich Goethe alle Gedanken an Flucht aus dem Sinn, und es empört ihn, wenn andere sie ihm nahelegen. Charlotte gegenüber erklärte er im selben Brief sogar, wir sind doch so gut wie
verheuratet
. Wie kann man da an Flucht denken?! Fünf Wochen später zieht er in einem bedeutsamen Brief an die Mutter die Summe seines früheren und jetzigen Daseins und erklärt ihr mit großer Entschiedenheit, daß und weshalb er in Weimar bleiben wird.
Ich bitte Sie, um meinetwillen unbesorgt zu sein, und sich durch nichts irre machen zu lassen. Meine Gesundheit ist weit besser als ich sie in vorigen Zeiten vermuten und hoffen konnte, und da sie hinreicht um dasjenige, was mir aufliegt wenigstens großenteils zu tun, so habe ich allerdings Ursache damit zufrieden zu sein. Was meine Lage selbst betrifft, so hat sie, ohnerachtet großer Beschwernisse, auch sehr viel erwünschtes für mich, wovon der beste Beweis ist, daß ich mir keine andere mögliche denken kann, in die ich gegenwärtig hinüber gehen möchte. Denn mit einer hypochondrischen Unbehaglichkeit sich aus seiner Haut heraus in eine andere sehnen, will sich dünkt mich nicht wohl ziemen. Merk und mehrere beurteilen meinen Zustand ganz falsch, sie sehen das nur was ich aufopfre, und nicht was ich gewinne, und sie können nicht begreifen, daß ich täglich reicher werde, indem ich täglich so viel hingebe.
Im Folgenden erläutert er, worin genau der Gewinn besteht. Von dem guten Einkommen und der materiellen Versorgung ist nicht die Rede. Das versteht sich wohl von selbst. Es ist der Gewinn in Hinsicht auf die Entwicklung der Persönlichkeit.
Sie erinnern sich, der letzten Zeiten die ich bei Ihnen, eh ich hierherging, zubrachte, unter solchen fortwährenden Umständen würde ich gewiß zu Grunde gegangen sein. Das Unverhältnis des engen und langsam bewegten bürgerlichen Kreises, zu der Weite und Geschwindigkeit meines Wesens hätte mich rasend
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