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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.
    Von Antonio wird Tasso gekränkt, von der Prinzessin in die Schranken gewiesen. Er darf sich zwar geliebt fühlen, aber dieser Liebe wird die reelle Lebensform versagt, nach der es Tasso verlangt. Tasso bleibt ebenso unbefriedigt, wie es Goethe trotz aller Innigkeit im Verhältnis zu Charlotte von Stein war, was ihm in voller Schärfe erst in Italien zu Bewußtsein kommt. Aus Rom schreibt er ihr:
Ach liebe Lotte du weißt nicht welche Gewalt ich mir angetan habe und antue und daß der Gedanke dich nicht zu besitzen mich doch im Grunde, ich mag’s nehmen und stellen und legen wie ich will aufreibt und aufzehrt. Ich mag meiner Liebe zu dir Formen geben welche ich will, immer immer –,
hier bricht er ab.
    Deutlicher wird er sich erst aussprechen, als er nach der Rückkehr aus Italien die erotisch erfüllende Beziehung zu Christiane Vulpius erlebt und dieses Verhältnis gegen Charlotte verteidigt mit der Erklärung, daß sie auf solche
Empfindungen
keinen Anspruch erhoben hat. Charlotte verhält sich wie die Prinzessin. Als Tasso ihr mit den Worten:
Du hast mich ganz auf ewig dir gewonnen, / So nimm denn auch mein ganzes Wesen hin,
in die Arme fällt, stößt sie ihn von sich und eilt davon.
    Der zurückgewiesene Tasso ist gedemütigt und verzweifelt. Er fühlt sich in einen Abgrund stürzen. In diesem Augenblick wirft er sich dem Gegenspieler Antonio in die Arme. Vergessen wir nicht: Für Tasso bedeutet Antonio die fundamentale Infragestellung der eigenen Existenz. Antonio verkörpert als Gegenprinzip das, was Tasso in seinem Selbstbewußtsein untergräbt. Im Zusammenbruch nun sucht Tasso ausgerechnet bei Antonio Halt, so als gehörte gerade sein Gegenspieler zu ihm – als die andere, als die nicht realisierte Seite des eigenen Wesens. Die Gräfin Leonore Sanvitale über das heikle Verhältnis zwischen Tasso und Antonio:
Zwei Männer sind’s, ich hab’ es lang gefühlt, / Die darum Feinde sind, weil die Natur / Nicht Einen Mann aus ihnen beiden formte.
    Goethe, als er den »Tasso« zu schreiben begann, empfand sich als eine solche Person, die den Tasso- und den Antonio-Aspekt in sich vereinigt, allerdings nicht in Form einer friedlichen Koexistenz, wie er der Mutter und manchen Freunden glauben machen will. Eher so gespannt und konfliktreich wie das Verhältnis zwischen Tasso und Antonio. Goethe mußte darum kämpfen, diese beiden Aspekte, diese Doppelexistenz im Gleichgewicht zu halten. Die Arbeit am »Tasso« war der Versuch, in der poetischen Welt ein Gegengewicht zu schaffen. Das Stück blieb nach den ersten zwei Akten zunächst liegen – äußerlich der Amtgeschäfte wegen, die es ihm nicht erlaubten, sich in die rechte Stimmung zu versetzen. Innerlich wohl deshalb, weil er dem poetischen Ausgleich der Gegensätze mißtraute. Er fühlte sich selbst noch zu sehr zerrissen zwischen den Ansprüchen der poetischen und der amtlichen Existenz.
    Goethe hatte sich vor seiner Reise nach Italien redlich bemüht, auch die Rolle eines Antonio auszufüllen. Immer wieder waren bei ihm Zweifel aufgetaucht, es gab Unmut und Ärger, die Belastungen seiner Ämter waren ihm bisweilen zu groß, aber noch hatte er alles niedergekämpft oder mit einigem Humor zu verarbeiten gesucht. Einmal schreibt er von einer Inspektionsreise zum Bergwerk von Ilmenau:
Heute in dem Wesen und Treiben, verglich ich mich einem Vogel der sich aus einem guten Endzweck ins Wasser gestürzt hat, und dem, da er am Ersaufen ist, die Götter seine Flügel in Floßfedern nach und nach verwandeln. Die Fische die sich um ihn bemühen begreifen nicht, warum es ihm in ihrem Element nicht sogleich wohl wird.
Der Vogel kann nicht mehr fliegen und kommt noch nicht mit seinen neuen Flossen zurecht. Im selben Brief spielt er noch mit einer anderen Metapher, die wenigstens Hoffnung läßt, daß ein richtiges Leben im falschen gelegentlich doch möglich ist.
Ich entziehe diesen Springwerken und Kaskaden
〈der Poesie〉
soviel möglich die Wasser und schlage sie auf Mühlen und in die Wässerungen aber eh ich’s mich versehe zieht ein böser Genius den Zapfen und alles springt und sprudelt. Und wenn ich denke ich sitze auf meinem Klepper und reite meine pflichtmäßige Station ab, auf einmal kriegt die Mähre unter mir eine herrliche Gestalt, unbezwingliche Luft und Flügel und geht mit mir davon.
    Für Goethe ist es ein erfreulicher Umstand, wenn die
Mähre
sich in einen Pegasus verwandelt. Bei Hofe sahen das

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