Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
Vom Netzwerk:
Freund Knebel, wenn er übertreibend von seiner Arbeitsüberlastung spreche, könne er sich damit die Leute vom Leibe halten und gewinne Zeit für sich. Oder er gebe einmal die Woche einen
großen Tee,
damit entledige er sich in einem Aufwasch der
Pflichten gegen die Sozietät.
Doppelexistenz aber bedeutet für ihn nicht, daß die Sphären gänzlich auseinanderfallen.
Nur im innersten meiner Plane und Vorsätze
,
und Unternehmungen bleib ich mir geheimnisvoll selbst getreu und knüpfe so wieder mein gesellschaftliches, politisches, moralisches und poetisches Leben in einen verborgenen Knoten zusammen.
    Der
verborgene Knoten
findet sich im poetisch-schöpferischen Bereich. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß Goethe in dem Augenblick, da er über die Doppelexistenz nachdenkt, mit der Arbeit an seinem »Tasso« beginnt, einem Stück, das diese innere Doppelexistenz auseinanderlegt in zwei Figuren, den Poeten Tasso, und den Amtsmenschen, der in der endgültigen Version des Stückes Antonio heißt. Zwischen diesen beiden gibt es im Stück keine Versöhnung. Sie werden einander nicht gerecht, weil jeder bei sich selbst das verwirft, was er beim anderen in einem Vollbild verwirklicht sieht und zugleich beneidet und bekämpft. Antonio besitzt Realitätssinn, beherrscht die Kunst der Diplomatie, ist gebildet und den schönen Künsten zugetan, aber er schätzt sie doch nur als Schmuck und Zierde. An die Würde und das Gewicht des eigentlichen Lebensgeschäftes reichen sie, aus seiner Sicht, nicht heran. Es verletzt ihn und erfüllt ihn mit Neid, daß ein Mensch wie Tasso, der doch nur schöne Worte machen kann, solchen Erfolg bei Hofe hat. Der Herzog, Alphons von Ferrara, läßt Tasso durch seine Schwester, die Prinzessin, mit einem Lorbeerkranz krönen. Antonios mißgünstiger Kommentar:
Mir war es lang’ bekannt, daß im Belohnen / Alphons unmäßig ist.
Tasso wirbt um die Freundschaft mit Antonio, obwohl er spürt, welcher Abgrund ihn von diesem Mann trennt. Antonio aber weist ihn zurück. Tasso zieht den Degen. Alphons vermittelt. Antonio wird getadelt und Tasso erhält Stubenarrest, eine glimpfliche und wohlmeinende Behandlung.
    Soweit ungefähr hatte Goethe das Stück vor der Abreise nach Italien entworfen. In der Prinzessin finden sich wirklich Züge von Charlotte, ihrer behutsamen, die Grenzen der höfischen Konventionen genau beobachtenden Art, ihrer zurückgestauten und disziplinierten Liebesgefühle dem Meister des Wortes gegenüber. Die Prinzessin zu Tasso:
Und soll ich dir noch einen Vorzug sagen, / Den unvermerkt sich dieses Lied erschleicht? / Es lockt uns nach und nach, wir hören zu, / Wir hören und wir glauben zu verstehn, / Was wir verstehn, das können wir nicht tadeln, / Und so gewinnt uns dieses Lied zuletzt.
Die Prinzessin läßt sich von der Magie der Worte bestricken, und das weiß sie. Antonio weiß es auch und mißbilligt es. Für sich selbst aber bleibt er gegen solchen Zauber immun. Und das wiederum weiß auch Tasso, weshalb er im Dialog mit der Prinzessin erklärt:
Er besitzt, / Ich mag wohl sagen, alles was mir fehlt. / Doch – haben alle Götter sich versammelt / Geschenke seiner Wiege darzubringen? / Die Grazien sind leider ausgeblieben, / Und wem die Gaben dieser Holden fehlen, / Der kann zwar viel besitzen, vieles geben, / Doch läßt sich nie an seinem Busen ruhn.
    Das ist wieder überaus schön und graziös gesagt, aber es hilft nichts: Die Prinzessin läßt sich nicht aus der Reserve locken, sie empfiehlt Tasso, sich mit Antonio gutzustellen, indem er die Formen des Schicklichen wahrt. Tasso ergeht sich daraufhin in Phantasien über eine Welt, in der zwischen den Menschen nur die reinen Töne des Herzens gelten:
erlaubt ist was gefällt.
Darauf die Prinzessin:
erlaubt ist was sich ziemt.
    Dagegen erhebt Tasso Einspruch. Dieser Grundsatz diene nur dem, der hinter dem Schleier der Ziemlichkeit den eigenen Nutzen verfolgt – wie Antonio. Das läßt die Prinzessin nicht gelten und setzt zu einer großen Verteidigung der Ziemlichkeit an, aus der man Charlotte von Steins Stimme herauszuhören meint.
Willst du genau erfahren was sich ziemt; / So frage nur bei edlen Frauen an. / Denn ihnen ist am meisten dran gelegen, / Daß alles wohl sich zieme was geschieht. / Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer / Das zarte leicht verletzliche Geschlecht. / Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie, / Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts. / Und wirst du die Geschlechter beide fragen: /

Weitere Kostenlose Bücher