Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
gemacht. Bei der lebhaften Einbildung und Ahndung menschlicher Dinge, wäre ich doch immer unbekannt mit der Welt, und in einer ewigen Kindheit geblieben, welche meist durch Eigendünkel, und alle verwandte Fehler, sich und andern unerträglich wird.
Frankfurt – die freie Reichsstadt mit entwickeltem Wirtschaftsleben und Kaiserkrönung soll
eng
gewesen sein im Vergleich zu Weimar? Das überrascht. Gemeint ist wohl, daß ihm in Frankfurt alles zu vertraut und deshalb beherrschbar vorgekommen ist. Der Lebensweg schien vorgezeichnet. Es fehlte jedenfalls die wirkliche Herausforderung, und so begann Goethes schnelles und weites Wesen in sich selbst zu
rasen
. Die Einbildungskraft verdrängte den Wirklichkeitssinn. Innerlich reich aber
unbekannt mit der Welt
geriet er in die Gefahr des
Eigendünkels.
Davor nun hat ihn die Umsiedlung nach Weimar gerettet.
Wie viel glücklicher war es, mich in ein Verhältnis gesetzt zu sehen, dem ich von keiner Seite gewachsen war, wo ich durch manche Fehler des Unbegriffs und der Übereilung mich und andere kennen zu lernen, Gelegenheit genug hatte, wo ich, mir selbst und dem Schicksal überlassen, durch so viele Prüfungen ging die vielen hundert Menschen nicht nötig sein mögen, deren ich aber zu meiner Ausbildung äußerst bedürftig war. Und noch jetzt, wie könnte ich mir, nach meiner Art zu sein, einen glücklichern Zustand wünschen, als einen der für mich etwas unendliches hat. Denn wenn sich auch in mir täglich neue Fähigkeiten entwickelten,
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so fände ich doch täglich Gelegenheit, alle diese Eigenschaften, bald im großen, bald im kleinen, anzuwenden.
In Weimar also hat er sich entwickeln können, weil er durch Pflichten und Aufgaben gezwungen war, mehr Welt in sich aufzunehmen und zu verarbeiten. Deshalb ist er mit sich und seiner Umwelt im Reinen, und es wäre
unverantwortlich
, wie er schreibt,
wenn ich zu einer Zeit, da die gepflanzten Bäume zu wachsen anfangen und da man hoffen kann bei der Ernte das Unkraut vom Weizen zu sondern, aus irgend einer Unbehaglichkeit davon ginge und mich selbst um Schatten, Früchte und Ernte bringen wollte
.
So legt er sich die Dinge zurecht, und so versucht er, die Mutter über seinen gegenwärtigen Zustand zu beruhigen. Er sei, entgegen allen Gerüchten, nicht unglücklich. Den entscheidenden Grund dafür aber nennt er erst ganz am Ende dieses Briefes:
Indes glauben Sie mir daß ein großer Teil des guten Muts, womit ich trage und wirke aus dem Gedanken quillt, daß alle diese Aufopferungen freiwillig sind und daß ich nur dürfte Postpferde anspannen lassen, um das notdürftige und Angenehme des Lebens, mit einer unbedingten Ruhe, bei Ihnen wieder zu finden. Denn ohne diese Aussicht und wenn ich mich
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als Leibeignen und Tagelöhner um der Bedürfnisse willen ansehen müßte, würde mir manches viel saurer werden.
Zuvor war von Wachstum, innen und außen, die Rede, jetzt von
Aufopferung
, aber eben einer freiwilligen. Und doch bleibt es eine Aufopferung. Damit ist das Mißverhältnis seines Geistes zu seiner Amtstätigkeit zur Sprache gebracht, doch er traut sich zu, dieses Mißverhältnis lebbar zu machen. Hier das Amt, dort das sonstige Dichten und Denken. Dem Freund Merck, der die Mutter so in Unruhe versetzt hatte, schreibt er:
Mein Wesen treibe ich, wie du dir es allenfalls denken kannst, und schicke mich nach und nach immer besser in das beschwerliche meiner Ämter, schnalle mir die Rüstung nach dem Leibe zurecht, und schleife die Waffen auf meine eigene Weise. Meine übrigen Liebhabereien gehen nebenher und ich erhalte sie immer durch ein oder die andere Zubuße, wie man gangbare Gruben nicht gerne auflässig werden läßt, so lange als noch einige Hoffnung von künftigen Vorteilen scheinen will
.
Lebbar wird das Mißverhältnis also, wenn das, was nicht zum Amt gehört, zur
Liebhaberei
erklärt wird, ein Begriff, der erst viel später negativ besetzt wurde.
Ich richte mich ein in dieser Welt, ohne ein Haar breit von dem Wesen nachzugeben was mich innerlich erhält und glücklich macht.
Es läuft also auf eine Doppelexistenz hinaus.
Wie ich mir in meinem Väterlichen Hause nicht einfallen ließ die Erscheinungen der Geister und die juristische Praxin zu verbinden eben so getrennt laß ich jetzt den Geheimderat und mein andres selbst, ohne das ein Geh. R. sehr gut bestehen kann
. Goethe hält sich zugute, diese Doppelexistenz mit einigem Geschick führen zu können. Beispielsweise, gesteht er seinem
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