Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Anstand, den er sich gab, kontrastierte eine schalkhafte Natur, die gerne beim Üblichen anstieß. Zum Beispiel verachtete er Poeten, die ihre Werke drucken ließen. Das Beste sollte nur in schöner Handschrift kursieren. Und darum schrieb er die Gedichte des jungen Goethe, die ihm gefielen, eigenhändig ab und fügte sie zu einer Sammlung unter dem Titel »Annette« zusammen, als Geschenk und als Mahnung für den Freund, dem er empfahl, künftighin so zu verfahren. Seine Hauptforderung war: man darf sich nicht gemein machen, weder nach unten noch nach oben. Er verspottete das Hohle und Geschraubte im Auftreten und Schreiben. Sein Witz war gefürchtet. Das Raffinement seiner äußeren Erscheinung verband er mit einem Sinn für das Natürliche, doch ohne ins Ungehobelte auszuarten, wie später die Stürmer und Dränger. Er zog mit Goethe in die Lustgärten vor der Stadt und pflegte dort den Umgang mit Mädchen, die, wie Goethe in »Dichtung und Wahrheit« entschuldigend schreibt, besser waren als ihr Ruf. Dorthin nahm Behrisch gelegentlich auch seinen Zögling mit, was ihn im Oktober 1767 seine Hofmeisterstelle kostete. Doch nicht zu seinem Schaden, denn er wurde danach als Erzieher an den Hof von Dessau berufen. Für Goethe war das ein herber Verlust. In einer an Behrisch gerichteten Ode läßt er seinem Zorn freien Lauf:
Ehrlicher Mann, / Fliehe dieses Land. // Tote Sümpfe, / Dampfende Oktobernebel, / Verweben ihre Ausflüsse / Hier unzertrennlich. // Gebärort / Schädlicher Insekten, / Mörderhülle / Ihrer Bosheit.
Goethe hatte Behrisch über sein Verhältnis zu Kätchen von Anfang an ins Vertrauen gezogen. Zunächst gab es Siegesnachrichten zu vermelden. Er hat das Herz des von vielen Seiten umworbenen Mädchens erobert. Auf Französisch schreibt er (erst später, wenn die Leidenschaft und mit ihr die Eifersucht wächst, wird Deutsch geschrieben): Es sei sehr angenehm zu erleben, wie der andere sich anstrengt, um zu gefallen, während er selber ungerührt in einer Ecke sitze, keine galante Bemerkung macht, keinen Flirt, so daß ihn der andere für einen Dummkopf hält, dem alle Lebensart abgeht – und am Ende erhalte dieser Dummkopf Gaben, für die der andere bis nach Rom gereist wäre
.
Diese Selbstsicherheit hielt nicht an. Kätchen hatte schon aus beruflichen Gründen fortwährend mit jungen Männern zu tun. Im Oktober 1767 quartierte sich ein Student aus dem Baltikum ein, ein gewisser Ryden. Ein Deutschrusse von stattlichem Aussehen und selbstbewußtem Auftreten, ein Frauentyp. Goethe wurde unruhig, sein Argwohn wuchs. Kätchen kannte das inzwischen schon und suchte ihn zu besänftigen:
Sie hat mich unter den heftigsten Liebkosungen gebeten sie nicht mit Eifersucht zu plagen, sie hat mir Geschworen immer mein zu sein. Und was glaubt man nicht wenn man liebt. Aber was kann sie schwören? Kann sie schwören, nie anders zu sehn als jetzt, kann sie schwören daß ihr Herz nicht mehr schlagen soll. Doch ich will’s glauben, daß sie’s kann.
Goethe schildert seinem Freund eine Szene, die ihn rasend macht. Ryden betritt das Zimmer, erbittet von der Mutter die Tarockkarten. Kätchen ist zugegen. Sie wischt sich die Augen, als sei ihr etwas hineingeraten. Er kennt diese Geste und glaubt, sie richtig deuten zu können. So tut sie, wenn sie eine Verwirrung, eine Röte im Gesicht verbergen will. Warum ist sie verwirrt, warum errötet sie? Für ihn ist die Antwort klar. Es gibt etwas zwischen Ryden und Kätchen.
Verliebte Augen sehen schärfer,
schreibt er an Behrisch,
aber oft zu scharf. Rate mir
〈...〉
und tröste mich
〈...〉
. Nur spotte mich nicht, wenn ich’s auch verdient hätte.
Wir wissen nicht, welchen Rat Behrisch ihm gab, denn seine Briefe sind nicht erhalten. Er wird wohl nicht sonderlich alarmiert gewesen sein, da er schon dem nächsten Brief entnehmen kann, daß der eifersüchtige Liebhaber immerhin soviel Fassung bewahrt, daß er ein »Hochzeitslied« dichten kann, in dem der Besitz einer Frau genüßlich ausgemalt wird:
Im Schlafgemach, fern von dem Feste, / Sitzt Amor Dir getreu, und wacht, / Daß nicht die List mutwill’ger Gäste, / Das Brautbett dir unsicher macht
.
Im Oktober verläßt Behrisch Leipzig. Nun setzt eine wahre Briefflut ein. Minutiös schildert Goethe das Auf und Ab seiner Seelenzustände, die Raserei der Eifersucht, die Augenblicke der Beruhigung. Es fällt auf, daß die Schilderungen zunehmend etwas absichtsvoll Literarisches bekommen, so als würde der
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