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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Unregelmäßigkeiten entlassen worden. Christiane verdiente ihren Unterhalt in Bertuchs Werkstatt für künstliche Blumen. Sie war also, wie man damals sagte, ein Mädchen aus dem Volk. Goethe hat seine Geliebte mehrfach gezeichnet. Auf den Bildern wirkt sie selbstbewußt und natürlich. Volles Haar, frei und gelockt fallend. Sie ist nicht so schlank wie Charlotte, eher von gedrungenem Typus mit rundlichen Formen und beträchtlicher Ausstrahlung. Als Goethes Mutter sie zu Gesicht bekommen hatte, hieß sie bei ihr nur »der Bettschatz«. Das war anerkennend und liebevoll gemeint.
    Die ersten Monate geht es zwischen den beiden sehr heimlich zu. Der einzige Mitwisser im Haus am Frauenplan ist der getreue Diener und Sekretär Philipp Seidel. Christiane wird durch den Hintereingang eingelassen. Bequemer wurde es, als Knebel das Gartenhaus wieder geräumt hatte, das er während Goethes Abwesenheit bewohnte. Wie immer ist der Herzog der erste, der von Goethe in dieser Männersache informiert wird – und als eine solche Männersache wird diese Liebesgeschichte einstweilen behandelt. Die erste Andeutung gibt Goethe in einem
Eroticon
genannten kleinen Gedicht über die
Sorgen der Liebe
, mit denen sich die übrigen Sorgen gut vertreiben lassen, Verse, die später eingehen in die »Römischen Elegien«. Er wolle die
Erotica den schönen Herzen
nahelegen, schreibt er in einem der nächsten Briefe und fährt fort:
Ich leugne nicht daß ich ihnen im Stillen ergeben bin.
Dann die kokette doppeldeutige Verteidigung:
Ich habe nichts getan dessen ich mich rühmen könnte, manches dessen ich mich freuen darf
.
    Im Frühjahr 1789, ein halbes Jahr später, wird die Geschichte zum offenen Geheimnis. Karoline Herder schreibt ihrem Mann, der inzwischen ebenfalls eine Italienreise angetreten hat: »Ich habe nun das Geheimnis von der Stein selbst, warum sie mit Goethe nicht mehr recht gut sein will. Er hat die junge Vulpius zu seinem Klärchen und läßt sie oft zu sich kommen usw.« Herder antwortet aus Rom, wo er sich bei Goethes Bekannten umgehört hatte: »Was Du von Goethens Klärchen schreibst, mißfällt mir mehr, als daß es mich wundern sollte. Ein armes Mädchen – ich könnte mir’s um alles nicht erlauben! Aber 〈...〉 die Art, wie er hier auf gewisse Weise unter rohen, obwohl guten Menschen gelebt hat, hat nichts anders hervorbringen können.«
    So ähnlich wird es auch Charlotte gesehen haben: Goethe ist in Italien verdorben worden. Er ist
sinnlich
geworden, wird sie später kühl konstatieren, nachdem sie Abstand gewonnen hat. Im ersten Jahr nach Goethes Rückkehr fehlte ihr diese Gelassenheit des Urteils. Sie war empört und verletzt. Sie war eine reife Frau, die auf die Fünfzig zuging, mit einem erwachsenen Sohn, Karl, und einem heranwachsenden, Fritz, den Goethe so gut wie adoptiert hatte; mit einem Ehemann, der soeben einen Schlaganfall erlitten hatte und zum Pflegefall zu werden drohte. Eigentlich konnte sie auf Goethes Nähe nicht gut verzichten, aber der Stolz verbot es ihr, um ihn zu kämpfen. Und wenn sie doch kämpfte, so war sie mit sich selbst uneins. Diese sonst so gelassene und formvollendete Frau geriet für einige Zeit aus dem Gleichgewicht.
    In den ersten Monaten versuchte sie Weimar zu meiden, wann immer es möglich war. Häufig war sie auf ihrem Gut Großkochberg bei Rudolstadt und ging auf Reisen. Ende Mai 1789, als sie wieder einmal zu einer Reise aufbrach, hinterließ sie Goethe einen Brief, der, nach Goethes Antwort zu schließen, eine fatale Bilanz der letzten Monate enthalten haben muß. Ein Brief mit Vorwürfen also, die Goethe in die Verteidigungsposition drängten.
Ich zauderte
, schreibt er,
darauf zu antworten, weil es in einem solchen Falle schwer ist aufrichtig zu sein und nicht zu verletzen
. Verletzend wird er dann doch, auch wenn er seine Beziehung zu Christiane mit behutsamen Formulierungen zu rechtfertigen versucht.
Welch ein Verhältnis ist es? Wer wird dadurch verkürzt? wer macht Anspruch an die Empfindungen die ich dem armen Geschöpf gönne? Wer an die Stunden die ich mit ihr zubringe?
    Das bedeutet nichts anderes als: Charlotte hat sein körperliches Begehren abgewehrt, und darum wird ihr auch nichts vorenthalten, wenn er es nun mit Christiane auslebt. So schroff freilich schreibt er es nicht, aber doch deutlich genug. Und da er nun einmal dabei ist, sich Luft zu schaffen, fährt er fort:
Aber das gestehe ich gern, die Art wie du mich bisher behandelt hast, kann ich nicht

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