Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
Vom Netzwerk:
Schillers »Ästhetischen Briefen«, worin der Gedanke von der Verbesserung des Menschen durch das freie Spiel der Kunst entwickelt wird. Darauf nimmt Goethes Eingangsgedicht Bezug:
Edler Freund, du wünschest das Wohl des Menschengeschlechtes,
〈...〉 //
Soll ich sagen wie ich es denke? so scheint mir es bildet / Nur das Leben den Mann und wenig bedeuten die Worte.
    Schiller las das nicht gerne, denn er traute der Macht des künstlerischen Wortes einiges zu. »Die Menschheit hat ihre Würde verloren«, heißt es in den »Ästhetischen Briefen«, »aber die Kunst hat sie gerettet 〈...〉 Ehe noch die Wahrheit ihr siegendes Licht in die Tiefen der Herzen sendet, fängt die Dichtungskraft ihre Strahlen auf, und die Gipfel der Menschheit werden glänzen, wenn noch feuchte Nacht in den Tälern liegt.« Das großartige Pathos Schillers rührte Goethe.
Das mir übersandte Manuskript habe sogleich mit großem Vergnügen gelesen, ich schlurfte es auf Einen Zug hinunter.
Bei einigem Nachdenken mochte er Schillers Glauben an die grandiosen gesellschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten der Kunst doch nicht teilen. Aus seiner Sicht verspricht sich Schiller zu viel von ihr: nicht weniger als eine innere Umwandlung des ganzen Menschen, der dadurch Freiheitsfähigkeit erlangen könnte. Die Kunst sollte, nach Schiller, eine Revolution der Denkungsart und des Empfindens einleiten und damit das besser machen, was die politische Revolution versäumt hat. Diese nämlich hätte bloß die Barbarei des losgelassenen Menschen offenbart.
    In der Diagnose der negativen Folgen der Revolution waren sich Schiller und Goethe einig, nicht aber in der Therapie. In der ersten »Epistel«, deutet sich diese Differenz an, und in den »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten«, Goethes erstem Prosabeitrag für die »Horen«, wird sie deutlicher, wenn auch immer noch indirekt ausgesprochen.
    Schiller hätte sich einen Paukenschlag als Eröffnung gewünscht, nicht bloß die Rahmenhandlung für eine Reihe erst noch zu liefernder Erzählungen. Darin wird eine kleine Gesellschaft adliger Flüchtlinge geschildert, die vor den Revolutionstruppen ins rechtsrheinische Gebiet geflohen sind und lebhaft über das Für und Wider der Revolution streiten, obwohl sie doch alle Leidtragende der Ereignisse sind. Man gerät heftig aneinander, woran sich zeigt, daß unter politisch Aufgeregten die guten Sitten und der höfliche Ton zuerst auf der Strecke bleiben. Man gibt
dem unwiderstehlichen Reiz nach, andern wehe zu tun
, weil jeder glaubt, mit seinen persönlichen Ansichten würde er zugleich Menschheitsinteressen vertreten. Der Geheimrat, der Fürsprecher der alten Ordnung, ereifert sich bis zu dem Ausruf, er wünsche die Jakobiner von Mainz alle gehangen zu sehen, worauf sein Widerpart Karl ihm entgegnet, er hoffe,
daß die Guillotine auch in Deutschland eine gesegnete Ernte finde und kein schuldiges Haupt verfehlen werde.
Mit diesem Eklat wird die kleine aber feine Gesellschaft fast auseinandergesprengt, und nur notdürftig läßt sich der Friede wiederherstellen. Das Erzählen soll dabei helfen. Zuvor aber muß man sich noch die Ermahnung der Baronesse gefallen lassen. In Gesellschaft solle man sich mit seinen leidenschaftlichen Überzeugungen zurückhalten, hier gelte es Rücksichtnahme und
Schonung
. Bekenntniswut ist nicht am Platze, wenn es gilt, mit Gegensätzen auf engem Raum zu leben, und so fordert die Baronesse nicht Mäßigung
im Namen der Tugend
, was zu hoch gegriffen wäre,
sondern im Namen der gemeinsten Höflichkeit.
    Hier zeigt Goethe, daß in Situationen des politischen Umtriebs nicht Schillers »ästhetische Erziehung«, sondern elementare
gesellige Bildung
nottut, für die kein anspruchsvolles theoretisches Konzept erforderlich ist, sondern eine schlichte Erinnerung an die heilsame Wirkung von Höflichkeit und Rücksichtnahme. Einig ist sich Goethe mit Schiller jedoch darin, daß es auf Spielkultur ankommt, so wie es Schiller im fünfzehnten Brief prägnant formuliert: »Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Goethes Modell der
geselligen Bildung
ist auch ein Spiel, ein Gesellschaftsspiel eben. Man tut so, als ob. Gefragt sind zivilisierte Umgangsformen, nicht unbedingte Authentizität. Keine Tyrannei der Intimität, keine protestantische Wahrhaftigkeit im Sinne von: ›Hier steh ich, ich kann nicht anders‹. Man muß

Weitere Kostenlose Bücher