Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
auch anders können, wenn man in Gesellschaft ist. Erforderlich sind wohldosierte Ausdrucksformen, mit denen man aneinander vorbei und über Abgründe hinweggleiten kann. Wir,
die wir von der Gesellschaft abhängen, müssen uns nach ihr bilden und richten
. Der Gesellschaftsmensch nimmt das Gehäuse seiner guten Formen mit als Schutz gegen Chaos, Anarchie und Verwahrlosung.
Vielleicht hatte Goethe der geselligen Bildung bei den Erzählungen, die zu Gehör gebracht werden, allzu viele Zugeständnisse gemacht:
Sie werden uns doch Ihre Geschichten wenigstens mit einiger Zierlichkeit vortragen wollen?
Die Geschichten von harmlos polternden Hausgeistern und knarrenden Möbeln, von schönen, aber allzu treuen Frauen, waren dann doch zu
zierlich
; ein wenig fesselnder hätten sie schon sein können, fand das Publikum. Das abschließende »Märchen«, von den Philologen später zum Muster aller Kunstmärchen erhoben, konnte diesen insgesamt lahmen Darbietungen auch nicht mehr aufhelfen. Es war ein allzu ausgedachtes Spielwerk von Symbolen und Allegorien, eine höhere Art Kreuzworträtsel. Wer nicht zu den Rätselfreunden gehörte, war gelangweilt, wie Humboldt aus Berlin süffisant berichtete. Anderen bereitete es sportliches Vergnügen, an dem Märchen herumzudeuteln: Die einen vergraben die Flaschen im Sand, die anderen graben sie wieder aus, auch das ein Gesellschaftsspiel. Wenigstens kommt man dabei nicht auf schlechte Gedanken. Goethe hat sich darüber diebisch gefreut und gab dem Prinzen August von Gotha, der ihn um eine definitive Interpretation gebeten hatte, den Bescheid, er werde mit seiner eigenen Auslegung nicht eher herausrücken,
als bis ich 99 Vorgänger vor mir sehen werde
.
Der Start der »Horen« war nicht glücklich, weil die ersten Stücke, Schillers »Ästhetische Briefe« und Goethes »Unterhaltungen«, nicht einschlugen: Schiller fand man zu schwierig und Goethe zu langweilig. Die »Horen« brauchten etwas Aufregendes. Nun sollten endlich die »Römischen Elegien« erscheinen, die Goethe den »Horen« längst versprochen hatte. Die eindeutig priapeischen Verse hatte er inzwischen ausgesondert, zu Schillers Bedauern, der jedoch einsah, daß sie
aufgeopfert werden mußten
. Alles andere aber sollte veröffentlicht werden, doch da Goethe zögert, schlägt er Streichungen vor, in der zweiten Elegie ist es wohl die Entkleidungsszene, und in der sechzehnten sind es die Verse, wo vom Ehebett als Gefahrenherd für Geschlechtskrankheiten die Rede ist. Streichen widerstrebt Goethe, besser die beiden Elegien ganz weglassen, was dann auch geschieht. Im Herbst 1795 erscheint die »Horen«-Nummer, die auch der größte kommerzielle Erfolg wird. Goethe nennt sie einen
Centaur
: der Kopf besteht aus Schillers Theorie, den Tierleib bilden Goethes Elegien. Herder lästert, die »›Horen‹ müßten nun mit dem u gedruckt werden«. Daß der Herzog mit der Veröffentlichung der »Elegien« nicht einverstanden war und »einige zu rüstige gedanken« darin fand, wurde schon berichtet. Nicht überraschend ist das Urteil der Frau von Stein: »ich habe für diese Art Gedichte keinen Sinn.« Humboldt schildert in einem Brief an Schiller, wie in Berlin das Gerücht umgehe, Goethe habe sich in Karlsbad mit »zwei getauften Jüdinnen« abgegeben und ihnen dabei die einzelnen Gelegenheiten haargenau erzählt, die ihn zu den Elegien veranlaßt hätten, namentlich zu dem Vers
Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib
.
Über die »Horen« wurde viel geredet, aber abgesehen von der ominösen »Centaur«-Nummer wurden sie immer weniger gelesen. Die großen Namen, das Geld, das stolze Auftreten der Herausgeber, die den Eindruck erweckten, sie wollten die ganze literarische Welt erziehen, das alles hatte Mißgunst erweckt und Schadenfreude, als sich nach einigen Nummern der Niedergang abzeichnete. Bei Goethe und Schiller wuchs der Ärger über das schwer erziehbare Publikum und über die hämische Kritik in den konkurrierenden Zeitschriften. Goethe war es, der auf die Idee kam, gemeinsam gegen die literarische Szene gerichtete Spottverse zu dichten, »Xenien«, das sind epigrammatische Zweizeiler aus Hexameter und Pentameter gebildet nach dem Vorbild Martials. Am 23. Dezember 1795 schickte er an Schiller gleich einige dieser Distichen zur Probe. Schiller war sogleich Feuer und Flamme. Wie Rohrspatzen konnten beide schimpfen, wenn es um das Publikum und die Kritik ging. Warum sollte man nicht ein literarisches Feuerwerk
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