Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
abbrennen gegen den Aufstand der Mittelmäßigkeit? Sie fanden ein großes Vergnügen dabei. Als sie im Jahre 1796 in Schillers Wohnung die Distichen drechselten, erscholl bisweilen ein so mächtiges Gelächter, daß Schillers Charlotte vorsichtshalber die Fenster schloß.
Ein übermütiges Gefühl des Gelingens beschwingt beide. Bei Schiller kommt noch etwas Spezielles hinzu. Als seine Liebe zu Goethe noch unverhohlen mit Haß gemischt war, hatte er sich in die Vorstellung hineingesteigert, man müsse Goethe, dieser »stolzen Prüden« ein »Kind machen«. Jetzt kann er seinem Freund Körner triumphierend vom gemeinsamen Kindermachen berichten: »Das Kind, welches Goethe und ich miteinander erzeugen, wird etwas ungezogen«. Goethe hatte ebenfalls seinen Spaß; im Rückblick erklärte er, Schiller habe ihm zu einer zweiten poetischen Jugend verholfen.
Bis zum Frühsommer 1796 sammeln sich mehrere hundert Distichen an. Die zuerst vereinbarte Anordnung, bei der die polemischen und sentenzartigen Verse gemischt werden, gefällt Goethe, nicht aber Schiller, dem das Ganze dadurch zu harmlos erscheint. Er schlägt vor, die polemischen Distichen herauszulösen und die anderen unter dem Titel »Unschuldige Xenien« zu versammeln. Das polemische Strafgericht soll nicht durch milde Töne gestört werden. Goethe, der mit polemischer Lust begonnen hatte, wollte nun plötzlich Milde walten lassen. Aber seine Einwände kamen zu spät, der von Schiller herausgegebene »Musenalmanach auf das Jahr 1797« mit dem polemischen Strafgericht der »Xenien« war bereits im Druck. Er war nach kurzer Zeit ausverkauft und mußte nachgedruckt werden. Der Verleger Cotta hätte die »Xenien« gerne in den »Horen« gehabt. Für Schiller aber war das eine Frage des Genres gewesen: er wollte das stolze Flaggschiff der »Horen« nicht mit polemischen, allzu zeitbezogenen Materialien belasten.
Das aber dümpelte vor sich hin. Schiller hatte sich von einem Vorabdruck des »Wilhelm Meister« einiges versprochen, doch war es dazu nicht gekommen. Gleichwohl wurde die Fertigstellung des Romans 1795/96 zum Glücksfall und zu einem Höhepunkt der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller. Goethe, der sich sonst nicht in die Karten schauen ließ, hatte etwas höchst Ungewöhnliches getan. Er hatte ein solches Vertrauen zu Schillers Kunstverstand gefaßt, daß er den Freund bat, ihm bei der Fertigstellung des Romans zu helfen. Die ersten beiden Bücher gingen Anfang 1795 bereits in den Druck, für die nächsten Bücher aber sollte gelten: er würde sie als Manuskript dem Freund zukommen lassen, der mit Kritik und Verbesserungsvorschlägen nicht sparen sollte. Auch wollte Goethe im Gespräch mit ihm die weitere Komposition des Romans noch einmal zur Disposition stellen. Goethe rechnete also auf eine sehr weitgehende Mitwirkung Schillers und der wird ihn auch nicht enttäuschen. Schiller macht den entstehenden Roman zu seiner Sache, er wolle Monate daran geben, verspricht er. Es gehöre »zu dem schönsten Glück meines Daseins«, schreibt Schiller, »daß ich die Vollendung dieses Produkts erlebte, daß sie noch in die Periode meiner strebenden Kräfte fällt, daß ich aus dieser reinen Quelle noch schöpfen kann; und das schöne Verhältnis, das unter uns ist, macht es mir zu einer gewissen Religion, Ihre Sache hierin zu der meinigen zu machen, alles was in mir Realität ist, zu dem reinsten Spiel des Geistes auszubilden.«
Die ersten Manuskriptlieferungen kommentiert Schiller mit höchstem Lob. Ende Juni 1796 schickt Goethe den letzten Teil des Manuskriptes, und Schiller liest nun den ganzen Roman in einem Zuge noch einmal durch. Die Folge der ausführlichen Briefe, die den Roman analysieren und kommentieren, wird eröffnet mit jenem berühmten Satz: »Wie lebhaft habe ich bei dieser Gelegenheit erfahren, 〈...〉 daß es, dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe.« Vor sieben Jahren hatte Schiller Körner gegenüber seinen Haß auf Goethe eingestanden. Jetzt verbindet ihn mit ihm eine Freundschaft. Wie aber wehrt man sich gegen aufkeimende Gefühle des Neides angesichts des Vortrefflichen? Die Antwort, die Schiller inzwischen darauf geben kann, lautet: indem man das Vortreffliche liebt.
Dieser so überaus prägnante Satz des Freundes war Goethe so kostbar, daß er ihn zehn Jahre später in »Ottiliens Tagebuch« in den »Wahlverwandtschaften« aufnimmt, leicht abgewandelt allerdings:
Gegen große Vorzüge eines Andern gibt es
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