Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
dem Stuhl ein, erwacht wieder, reißt sich zusammen:
Aber das Blatt muß diesen Abend noch voll werden. Ich habe noch viel zu sagen.
Doch eigentlich ist das Erlebnis schon ausgekostet. Die Einbildungskraft muß helfen, die er ein paar Tage zuvor in den höchsten Tönen gerühmt hatte:
Die Einbildungskraft gefällt sich in dem weiten geheimnisvollen Felde der Bilder herumzuschweifen, und da Ausdrücke zu suchen, wenn Wahrheit den nächsten Weg nicht gehen darf
. Weil die Erlebnisse ausgeschöpft sind, überläßt er sich der Einbildungskraft, die ihm künftige Tage herbeizaubert.
Was werde ich morgen tun? das weiß ich. Ich werde ruhig sein bis ich ins Haus trete. Und da wird mein Herz zu pochen anfangen, und wenn ich sie gehen oder reden höre, wird es stärker pochen, und nach Tische werd’ ich gehen. Seh ich sie etwa, da werden mir die Tränen in die Augen kommen, und werde denken: Gott verzeih dir wie ich dir verzeihe, und schenke dir alle die Jahre, die du meinem Leben raubst; das werde ich denken, sie ansehen, mich freuen daß ich halb und halb glauben kann daß sie mich liebt, und wieder gehen. So wird’s sein morgen, übermorgen, und immer fort.
So schreibt er noch eine Weile weiter, dann geht er endlich zu Bett. Anderntags liest er den Brief noch einmal durch. Er ist zufrieden damit.
Dieses heftige Begehren, und dieses eben so heftige Verabscheun, dieses Rasen und diese Wollust werden dir den Jüngling kenntlich machen, und du wirst ihn bedauern.
Und nun folgt der Satz, der im »Werther« als geflügeltes Wort wiederkehren wird:
Gestern machte das mir die Welt zur Hölle, was sie mir heute zum Himmel macht
. Hier werden wir Zeuge des Vorgangs, wie aus dem Fluß des enthemmten Schreibens ein bedeutungsvoll glänzender Satz emporsteigt, um dann im inneren Archiv für spätere literarische Verwendung aufbewahrt zu werden. Zwei Tage darauf, der Riesenbrief ist immer noch nicht abgeschickt, notiert er nach einer abermaligen Lektüre:
Mein Brief hat eine hübsche Anlage zu einem Werkchen
.
Nach dem ersten großen Eifersuchtssturm, der durch dieses kleine
Werkchen
fegt, macht er sich abkühlende Gedanken. Das Nachlassen der Eifersucht entspannt, aber bedeutet auch, wie er beunruhigt feststellt:
die
Heftigkeit der Liebe hatte gegen sonst viel nachgelassen.
Die Eifersucht sorgt offenbar für die nötige Betriebstemperatur der Leidenschaft. Auch registriert er, daß Kätchen die Herrschaft, die sie über ihn ausübt, zu genießen scheint.
Es vergnügt sie einen stolzen Menschen wie ich bin an ihrem Fußschemel angekettet zu sehen. Sie hat weiter nicht auf ihn acht so lang er ruhig liegt, will er sich aber losreißen, dann fällt er ihr erst wieder ein, ihre Liebe erwacht wieder mit der Aufmerksamkeit
. Das beste ist also, er versucht nun seinerseits Kätchen eifersüchtig zu machen. Gelegenheit dazu findet sich bei den Obermanns und den Breitkopfs, Familien, bei denen er ein und aus ging und wo es hübsche Töchter gab, mit denen man flirten konnte. Und wirklich wurde Kätchen eifersüchtig und machte ihm Szenen.
So ging das hin und her, bis zum Frühjahr 1768. Dann kam es zur Trennung, einvernehmlich, wie Goethe in einem Brief an Behrisch betont:
Wir haben mit der Liebe angefangen und hören mit der Freundschaft auf
.
In demselben Brief schickt er dem Freund das Lustspiel »Die Laune des Verliebten«, entworfen noch in Frankfurt als konventionelles Rokoko-Schäferspiel, dann mehrfach umgearbeitet und immer näher an die eigenen Liebesnöte herangeführt, bis daraus eine Komödie der Eifersucht wurde, die dem Autor so gut gefiel, daß sie die Autodafés der folgenden Jahre überstand. Der Schwester gegenüber nennt er die Komödie ein
gutes Stückchen
〈...〉
, da es sorgfältig nach der Natur kopiert ist.
Zwei Paare sind miteinander verwoben und zugleich in Kontrast gesetzt. Lamon und Egle haben eine leichte, tändelnde, anmutige und frivole Art, ihr Liebesspiel zu betreiben. LAMON
Ist es wohl scheltens wert auch andre schön zu finden? / Ich wehre Dir ja nicht zu sagen: Der ist schön, / Der artig, scherzhaft der, ich will es eingestehn, / Nicht böse sein.
/ EGLE
Sei’s nicht, ich will es auch nicht werden. / Wir fehlen beide gleich. Mit freundlichen Gebärden / Hör ich gar manchen an
〈...〉
/ Mich kleidet Eifersucht noch weniger als Dich.
Anders Eridon und Amine. Sie haben Probleme miteinander, weil Eridon die Geliebte vollkommen besitzen will und argwöhnisch über Amine wacht, mit lauernder
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