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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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weniger günstig.
Seine Lehre wirkte auf unsern Geist und unsern Geschmack; aber seine eigne Zeichnung war zu unbestimmt, als daß sie mich, der ich an den Gegenständen der Kunst und Natur auch nur hindämmerte, hätte zu einer strengen und entschiedenen Ausübung anleiten sollen
.
    Bei Oeser hatte Goethe, besonders während der verwickelten Geschichte mit Kätchen, Ruhe und einen Mittelpunkt gefunden. Oeser war es auch, der ihm die Idee eingab, eine Reise ins nahe Dresden zu unternehmen, um die dortige Gemäldesammlung zu besichtigen. Ende Februar 1768, in der Zeit der Trennung von Kätchen, machte sich Goethe auf den Weg dorthin. Er wohnte bei einem gebildeten, wunderlichen Schuster, der in »Dichtung und Wahrheit« als eine Mischung aus Meister Sachs und Jacob Böhme geschildert wird. Tagelang verweilte er bei den Gemälden. Für die alten Italiener, darunter Raffaels »Sixtinische Madonna«, hatte er noch kein Auge, die Niederländer mit ihren häuslichen Genrebildern zogen ihn mehr an. Plötzlich kam ihm auch sein Hauswirt vor wie eine Figur aus einem Gemälde von Ostade.
Es war das erste Mal
, schreibt er in »Dichtung und Wahrheit«,
daß ich auf einen so hohen Grad die Gabe gewahr wurde, die ich nachher mit mehrerem Bewußtsein übte, die Natur nämlich mit den Augen dieses oder jenes Künstlers zu sehen, dessen Werke ich so eben eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatte.
    Die Reise nach Dresden war eine Pilgerfahrt zur Kunst gewesen und hatte ihm das wunderliche Gefühl verschafft, bei seinem Schuster wie in einem Bilde gewohnt zu haben. Diese Selbstmystifikation paßte ganz gut zu der Art, wie er den Leipziger Freunden und Bekannten gegenüber aus seiner Reise nach Dresden ein Geheimnis machte. Es kam ihm so vor, als sei er in den Bildern verschwunden und trete nun aus den Bildern wieder in die Wirklichkeit hinaus und er werde von den anderen wie ein verschollen geglaubter Mensch angestaunt. Die neue Distanz, die sich daraus ergab, mochte ihm die Trennung von Kätchen ein wenig erleichtern. Und doch blieb sie offenbar so schwierig und qualvoll, daß er im Rückblick der Autobiographie seine schwere Krankheit auf das Liebesleid zurückführte:
ich hatte sie wirklich verloren, und die Tollheit, mit der ich meinen Fehler an mir selbst rächte, indem ich auf mancherlei unsinnige Weise in meine physische Natur stürmte, um der sittlichen etwas zu Leide zu tun, hat sehr viel zu den körperlichen Übeln beigetragen, unter denen ich einige der besten Jahre meines Lebens verlor
.
    Anderes kam hinzu. Goethe war nun drei Jahre in Leipzig, ohne ein Studium abgeschlossen zu haben. Der Student der Jurisprudenz mußte sich vorläufig als gescheitert empfinden. Auch wenn er in frivolem Ton davon berichtete, so bedrückte es ihn doch. Behrisch gegenüber äußerte er seine Verzweiflung:
Und ich gehe nun täglich mehr Bergunter. 3 Monate Behrisch, und darnach ist’s aus.
    Körperlich war er geschwächt. Das schwere Merseburger Bier, das man in Leipzig trank, ebenso wie der Kaffee, zu dem man hier bei jeder Gelegenheit einlud, verursachten Verdauungsbeschwerden. Beim Kupferstecher Stock hatte er giftige Dämpfe eingeatmet. Er wußte nicht, ob die Stiche in der Brust von daher kamen oder immer noch die Nachwirkung der Zerrung waren, die er sich drei Jahre zuvor beim Unfall auf der Fahrt nach Leipzig zugezogen hatte.
    Eines Nachts, Ende Juli 1768, wachte er mit einem heftigen Blutsturz auf. Ein Arzt wurde gerufen, der ein lebensgefährliches Lungenleiden diagnostizierte. An der linken Seite des Halses zeigte sich eine Geschwulst. Während einiger Tage rang er mit dem Tod. Er wurde fürsorglich gepflegt. Es zeigte sich nun, daß dieser junge Mann in einigen Familien inzwischen Zuneigung gewonnen hatte, die Breitkopfs, Obermanns, Stocks, Schönkopfs, Oesers schauten nach dem Kranken, selbstverständlich auch der kleine Horn und die Tischgenossen. Besonders aber tat sich Ernst Theodor Langer hervor, der Nachfolger von Behrisch als Erzieher beim jungen Grafen Lindenau. Langer war ein frommer Mann, mystischen Spekulationen ergeben, aber zu eigenwillig, um sich einem pietistischen oder herrnhuterischen Kreis anzuschließen. Er zeigte sich häufig in der Krankenstube. Er war kein Eiferer und wollte auch nicht Proselyten machen, aber er war doch bestrebt, das Herz des jungen und jetzt so kranken Mannes, der vielleicht bald sterben würde, für Jesus zu gewinnen. In »Dichtung und Wahrheit« spricht Goethe sehr freundlich über

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