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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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frei fühlen für eine andere Liebe.
    Die Briefe an Behrisch erwecken den Eindruck, als habe der junge Goethe schließlich die Initiative zur Trennung ergriffen. Folgt man indes der späteren Darstellung in »Dichtung und Wahrheit«, ergibt sich ein anderes Bild. Dort stellt sich Goethe als ein Quälgeist von der Art Eridons dar,
von jener bösen Sucht befallen, die uns verleitet, aus der Quälerei der Geliebten eine Unterhaltung zu schaffen und die Ergebenheit eines Mädchens mit willkürlichen und tyrannischen Grillen zu beherrschen
. Er habe beispielsweise seine
böse Laune
über das Mißlingen einiger poetischer Versuche an ihr ausgelassen, weil er sich ihrer allzu sicher fühlte. Diese
böse Laune
habe sich in
abgeschmackte Eifersüchteleien
gekleidet, die das Mädchen eine Zeit lang mit
unglaublicher Geduld
ertragen habe. Dann aber habe er bemerken müssen, daß sie sich, auch aus Selbstschutz, innerlich von ihm entfernte. Und jetzt erst habe sie ihm wirklich Ursache für eine Eifersucht gegeben, die zuvor unbegründet war. Es kam zu
schrecklichen Szenen
. Von nun an mußte er wirklich um sie werben und kämpfen. Aber es war zu spät. Er hatte sie bereits verloren.
    So scharf aber hatte er es damals nicht gesehen, jedenfalls hatte er es Behrisch nicht so geschildert. Ihm gegenüber wählt er, wie gesagt, die für ihn günstigere Version, wonach die Trennung von ihm ausging.
    In den Wochen der Liebesturbulenz widmete sich Goethe auf der Suche nach Gegengewichten den praktischen Kunstübungen, dem Zeichnen und Malen in der Kunstakademie bei Adam Friedrich Oeser und dem Kupferstechen und Radieren bei Johann Michael Stock. Oeser hatte er bereits im dritten Semester kennen und schätzen gelernt. Er war Direktor der neu gegründeten Leipziger Akademie in der Pleißenburg, ein theoretisch hochgebildeter und praktisch vielseitiger Maler, der bei Studenten und Kunden beliebt war auch seines geselligen und humoristischen Talentes wegen. Er konnte sich vor Aufträgen gar nicht retten. Er malte Altarbilder und Theatervorhänge, fertigte Buchillustrationen und Miniaturen, beriet Fürsten und Vornehme bei der Ausschmückung ihrer Schlösser und Gärten. In Dresden, wo Oeser zuvor gearbeitet hatte, war Johann Joachim Winckelmann sein nächster Freund und Hausgenosse gewesen, und im Sommer 1768 erwartete er dessen Rückkehr aus Italien. Auch Goethe, dem Oeser Winckelmanns Schriften mit dem Ausdruck großer Ehrerbietung zum Lesen gegeben hatte und der sie eifrig und mit einiger Andacht studierte, war begierig, diesen inzwischen berühmten Mann leibhaftig zu sehen. Da kam die Nachricht von Winckelmanns Ermordung in Triest. Oeser war einige Tage für niemanden zu sprechen, und der junge Goethe bedauerte es, daß er nach Lessing, mit dem er ein Zusammentreffen aus Schüchternheit vermieden hatte, nun auch diesen anderen Geistesheroen versäumte.
    Oeser hatte, noch vor Winckelmann, damit begonnen, eine idealisierte Antike – »edle Einfalt, stille Größe«, wie es dann bei Winckelmann hieß – dem Barockstil vorzuziehen. Doch anders als Winckelmann hatte Oeser nichts Missionarisches, auch keine Leidenschaft für das Unbedingte. Er betrieb seine Kunst eher spielerisch, sorgte sich wenig um das Urteil der Nachwelt und bediente seine Auftraggeber nur so gut, wie sie bedient sein wollten. Die freie, unaffektierte und geistig originelle Art Oesers tat dem jungen Goethe wohl, ermunterte ihn bei den Malübungen und regte sein Nachdenken über Kunst an. Nach Frankfurt zurückgekehrt, schrieb er ihm einen ausführlichen Dankesbrief. Er habe bei ihm mehr gelernt als in all den Jahren an der Universität.
Den Geschmack den ich am Schönen habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle durch Sie? Wie gewiß, wie leuchtend wahr, ist mir der seltsame, fast unbegreifliche Satz geworden, daß die Werkstatt des großen Künstlers mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen und des Kritikers.
    Bei den literarischen Versuchen hatten Gellert, Clodius und andere an ihm herumgekrittelt, Oeser aber hatte ihn offenbar richtig angefaßt:
Entweder ganz getadelt, oder ganz gelobt, und nichts kann Fähigkeiten so sehr niederreißen. Aufmunterung nach dem Tadel, ist Sonne nach dem Regen, fruchtbares Gedeihen. Ja Herr Professor wenn Sie meiner Liebe zu den Musen nicht aufgeholfen hätten ich wäre verzweifelt.
Im Rückblick von »Dichtung und Wahrheit« ist Goethes Urteil allerdings

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