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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Briefschreiber zur Figur in einem Briefroman. Da klagt er seitenlang über die Liebesnot, schildert Szenen, die seine Eifersucht erregen, Momente der Versöhnung und Hingabe, dann wieder Verstörendes, seufzt und klagt, gewinnt wieder Abstand und schreibt klug und reflektiert, als würde er sich selbst aus der Kulisse zuschauen:
Liebe ist Jammer, aber jeder Jammer wird Wollust, wenn wir seine klemmende, stechende Empfindung die unser Herz ängstigt durch Klagen lindern, und zu einem sanften Kitzel verwandeln.
Der Schreiber dieser erregten und zugleich besonnenen Briefe findet Gefallen an ihnen. Man sollte sie eigentlich für eine spätere Verwendung in einem Roman aufbewahren, denkt er.
Ich kann mir nicht helfen, ich habe viele gute Gedanken, und kann sie nirgends brauchen als gegen dich. Wäre ich Autor, da würde ich sparsamer sein, um sie ans Publikum dermaleinst verschwenden zu können.
    Der briefeschreibende Verliebte ist wirklich von seinen Gefühlen überwältigt; er ist Akteur und zugleich Protokollant. Es ist nicht so, daß er Erlebnisse sucht und sich in sie hineinsteigert, um sie dann in Sprache zu überführen. Er schwelgt nicht in Liebesgefühlen, um darüber schreiben zu können, doch sie bekommen einen zusätzlichen
Kitzel
, indem er darüber schreibt. Er setzt seine Liebesnöte in den Briefen ins Werk, inszeniert sie, verlängert und intensiviert sie, schafft im Schreiben eine imaginäre Bühne: Es ist also nicht nur Behrisch, an den die Briefe gerichtet sind, sie sind auch an ihn, den künftigen Autor, gerichtet. Er selbst sitzt im Publikum und spielt sich vor, was er da schreibt. Ein verwickelter Vorgang: er durchlebt eine Geschichte, zu der es aber gehört, daß sie erst in ihrer lustvollen Versprachlichung zu ihrer vollen Wirklichkeit gelangt. Fast schon einem Briefroman von der Art des »Werther« gleicht jene Serie von tagebuchartigen Berichten an Behrisch, die am 2. November 1767 beginnt und sich bis Ende des Monats fortsetzt. Er möchte so schreiben, daß die beiden Abstände zugleich verschwinden, die zum Liebeserlebnis und die zum Freund.
Diese Hand die jetzt das Papier berührt um dir zu schreiben, diese glückliche Hand drückte sie an meine Brust.
Die Hand der Liebkosung ist auch die des Schreibens. Er überträgt die Berührung der Geliebten auf den lesenden Freund. Das Schreiben stiftet eine intime Verbindung. Am 10. November, abends um 7 Uhr notiert er, ja ruft er aus:
Ha Behrisch da ist einer von den Augenblicken! Du bist weg, und das Papier ist nur eine kalte Zuflucht, gegen deine Arme
. Und nun können wir dem Briefschreiber dabei zusehen (und er selbst sieht sich auch dabei zu), wie er mit seinen Worten und Sätzen ein Feuer entfacht:
Mein Blut läuft stiller, ich werde ruhiger mit dir reden können. Ob vernünftig? das weiß Gott. Nein, nicht vernünftig
. Unablässig fällt er sich ins Wort, stockt, setzt wieder neu an.
Ich habe mir eine Feder geschnitten um mich zu erholen. Laß sehen ob wir fortkommen.
〈...〉
Annette macht – nein nicht macht. Stille, stille, ich will dir alles in der Ordnung erzählen.
Und dann folgt eine der Eifersuchtsszenen. Kätchen war ins Theater gegangen, ohne ihn. Er hinter ihr her.
Ich fand ihre Loge. Sie saß an der Ecke
〈...〉
. Hinter ihrem Stuhl Hr. Ryden, in einer sehr zärtlichen Stellung. Ha! Denke mich! Denke mich! auf der Galerie! mit einem Fernglas – das sehend! Verflucht! Oh Behrisch, ich dachte mein Kopf spränge mir für Wut. Man spielte Miss Sara.
〈...〉
meine Augen waren in der Loge, und mein Herz tanzte. Er lehnte sich bald hervor
〈...〉
. Bald trat er zurück,
bald lehnte er sich über den Stuhl und sagte ihr was, ich knirschte die Zähne und sah zu. Es kamen mir Tränen in die Augen, aber sie waren vom scharfen Sehen, ich habe diesen ganzen Abend noch nicht weinen können
. Sein erster Gedanke, nach Hause zu eilen, um dem Freund das Erlebnis zu beschreiben. Dann bleibt er noch einen Augenblick, zweifelnd, ob er sieht, was er sieht oder was er zu sehen glaubt:
Ich sah wie sie ihm ganz kalt begegnete, wie sie sich von ihm wegwendete, wie sie ihm kaum antwortete
〈...〉.
Ah mein Glas schmeichelte mir nicht so wie meine Seele, ich wünschte es zu sehen!
Mit diesen Zweifeln stürmt er nach Hause, setzt sich zum Schreiben an den Tisch.
Wieder eine neue Feder. Wieder einige Augenblicke Ruhe. O mein Freund. Schon das dritte Blatt. Ich könnte dir tausend schreiben, ohne müde zu werden
. Dann wird er doch müde, schläft auf

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