Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
jenem Stück arbeitet, das ihm, wie es in den »Tag- und Jahres-Heften« heißt, zum
Gefäß
wurde für alles, was er über die Französische Revolution gedacht und geschrieben hatte. Es handelte sich um das Schauspiel »Die natürliche Tochter«, zu dem ihm die Idee Ende 1799 gekommen war, an dem er aber erst nach der Krankheit ernsthaft zu arbeiten begonnen hatte, zunächst mit großen Mühen und unter strikter Geheimhaltung. Selbst Schiller erfuhr nichts davon. Es war der alte
Aberglauben
, daß er
ein Unternehmen nicht aussprechen dürfe, wenn es gelingen solle
. Er plante eine Trilogie. Es blieb dann doch bei dem ersten und einzigen Stück, das im März 1803 abgeschlossen wurde und am 2. April, noch unter dem Titel »Eugenie« auf der Weimarer Bühne mit geringem Erfolg erschien.
Goethe hatte sich anregen lassen von einem Werk, das sich als die Memoiren der Stephanie von Bourbon Conti, der natürlichen Tochter des Prinzen von Bourbon-Conti, ausgab. Eine Fälschung, wie man damals schon wußte. Goethe gefiel dieses, wie Schiller es nannte, »Märchen«, das vom Absturz einer Adligen durch die Kabale bei Hofe erzählt und von der schwierigen Bewahrung des Herzensadels in schlimmer Zeit. Dieses »Märchen« legte er seinem Stück zugrunde.
Eugenie, die illegitime Tochter aus herzoglichem Hause wird um Anspruch und äußerlichen Rang gebracht und lernt den Verzicht. Sie wird vor die Entscheidung gestellt, ihr Leben entweder in unfruchtbarer Isolation und Verbitterung, doch im stolzen Bewußtsein der hohen Geburt zu verbringen, oder aber die ihr gebotene Hand eines bürgerlichen Mannes zu ergreifen und ein verborgenes wenngleich tüchtiges Leben zu führen. Sie wählt das bürgerliche Inkognito und bewahrt ihren Herzensadel, rein innerlich zunächst, doch mit Strahlkraft nach außen und mit der Aussicht darauf, daß sich daraus dereinst eine neue äußere Ordnung bilden könnte. Bis dahin aber gilt es auszuhalten und sich zu bewahren.
Denn, wenn ein Wunder auf der Welt geschieht; / Geschieht’s durch liebevolle, treue Herzen
. Wie bei Iphigenie bewahrt sich das Humane im Verborgenen, abgeschirmt als gesteigerte und geformte Natur. Darum auch, wie bei Iphigenie, das feierliche Gleichmaß der hochstilisierten Verssprache und insgesamt die kunstvolle Organisation des Stückes, das durchkomponierte Gewebe von Motiven und Symbolen, die dem Ganzen etwas Statuarisches geben, ein formaler Gegenentwurf zum Chaos von Revolution und Korruption.
»Die Natürliche Tochter« ist vollkommen aus dem Geist der Weimarischen Dramaturgie gearbeitet, die Goethe und Schiller in den Jahren zuvor entwickelt hatten. Ebenso wie Eugenie im Untergang der alten Ordnung ihre Haltung bewahrt, setzt die strenge Form des Dramas das klassizistische Kunstideal gegen die
Schlammflut
des Banalen (die Kotzebue-Partei) und des exzentrisch Verwilderten (die romantische Partei). Überhaupt kommt es für Goethe darauf an, sich jenseits des
parteiischen Bestrebens
zu halten:
Im Hause, wo der Gatte sicher waltet, / Da wohnt allein der Friede, den, vergebens, / Im Weiten, du, da draußen, suchen magst. / Unruh’ge Mißgunst, grimmige Verleumdung, / Verhallendes, parteiisches Bestreben, / Nicht wirken sie auf diesen heil’gen Kreis!
Das Stück selbst rundet sich, wie schon die »Iphigenie«, zum
heil’gen Kreis
. Goethe weigert sich, es bühnengerecht einzurichten. Es ist ein Stück wie eine geschlossene Auster, ein
Talisman
, dessen Wunderkraft man nutzt, aber nicht eigentlich zeigt. Kein Wunder, daß dieses Stück auf der Bühne wenig Erfolg hatte. Das Publikum staunte über die Kunstfertigkeit und blieb dann weg. Madame de Staël, die gerade zu Besuch in Weimar war, wohnte einer Aufführung bei und empfand dabei nur einen »noble ennui«.
»Die Natürliche Tochter« war für Goethe ein Asyl gegen die Turbulenzen der Geschichte und gegen
parteiische
Bestrebungen jeder Art. Er schrieb es zu einem Zeitpunkt, als das Parteiengezänk am Ort auf einem Höhepunkt war. Kotzebue hatte es angefacht. August von Kotzebue war damals der erfolgreichste Theaterschriftsteller Deutschlands. Auch Goethe ließ seine Stücke häufig aufführen, weil das Publikum sie wünschte. Ihm selbst galten die Stücke als Ausgeburten des platten Naturalismus, gegen den er mit Schiller zu Felde zog.
Kotzebue war soeben von einer abenteuerlichen Reise aus Rußland nach Weimar zurückgekehrt. Er war beim Grenzübertritt als Spion verhaftet und nach Westsibirien deportiert worden,
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