Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Auch erzählte man sich, Karoline habe ihre Tochter mit Schelling verkuppeln wollen, um ihn in der Nähe zu behalten. Das war für Karoline zu viel. Sie brach zusammen und wagte es einstweilen nicht, nach Jena zurückzukehren. Sie entzog sich zunächst dem Geliebten. Der litt unter Depressionen und trug sich mit Selbstmordgedanken. Karoline empfahl ihm, bei Goethe Hilfe zu suchen: »Er liebet Dich väterlich, ich liebe Dich mütterlich – was hast Du für wunderbare Eltern!«
Zwischen Goethe und Schelling bestand, seit Schiller die beiden 1796 miteinander bekannt gemacht hatte, eine zunehmend enge und vertraute Verbindung. Goethe war beeindruckt von dem kraftvollen, selbstbewußten jungen Mann, den er 1798 seinem Ministerkollegen Voigt für eine unbezahlte Professur mit den Worten empfahl:
Es ist ein sehr klarer, energischer und nach der neusten Mode organisierter Kopf; dabei habe ich keine Spur einer Sansculotten-Tournure an ihm bemerken können, vielmehr scheint er in jedem Sinne mäßig und gebildet. Ich bin überzeugt, daß er uns Ehre machen und der Akademie nützlich sein würde.
Wenn Goethe ihn einen
nach der neuesten Mode organisierten Kopf
nannte, so wollte er ihn damit als einen Philosophen aus Fichtes Schule charakterisieren, als einen sogenannten Transzendentalisten, der die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis erforschte. Das hätte ihn sonst nicht sonderlich gefesselt. Doch an Schelling interessierte ihn, daß sich bei ihm die Entwicklung zur Naturphilosophie deutlich abzeichnete. Er war nämlich gerade dabei, einen Übergang zu suchen vom Prinzip ›Ich‹ zu den schöpferischen Kräften der Natur. Goethe gefiel das, und er ließ sich gerne auf die Gespräche mit ihm ein. Der Geist ist bewußtlose Natur, und die Natur ist bewußtloser Geist, lautete einer der Kernsätze Schellings. Dieser Gedanke war Goethe so sympathisch, daß er sich Schellings jüngste Schriften zur Naturphilosophie besorgte und sie nicht nur aufschnitt, sondern auch darin las. Zunächst hielt er aber doch noch Abstand. Seine ersten Eindrücke bei der Lektüre resümiert er in einem Brief an Schiller. Ihn könnten weder die Naturphilosophen,
die von oben herunter
, noch die gewöhnlichen Naturforscher,
die von unten hinauf leiten wollen
, zufriedenstellen, er finde sein Heil
nur in der Anschauung, die in der Mitte steht
. Bald verschwand diese Reserve. Immer deutlicher spürte er bei Schelling das Verwandte: Anschaulichkeit, Überwindung mechanischer Denkweise, Sinn und Gespür für die schöpferische Potenz in der Natur. Für Goethe war Schelling der krönende Abschluß in der Reihe von Kant zu Fichte. An Schiller schrieb er:
Wir wollen das
möglichste tun um mit diesem
dritten Wunder
in das neue Jahrhundert einzutreten
. Und gegenüber Schelling selbst erklärte er:
Seitdem ich mich von der hergebrachten Art der Naturforschung losreißen und, wie eine Monade, auf mich selbst zurückgewiesen, in den geistigen Regionen der Wissenschaft umherschweben mußte, habe ich selten hier- oder dorthin einen Zug verspürt; zu Ihrer Lehre ist er entschieden. Ich wünsche eine völlige Vereinigung, die ich durch das Studium Ihrer Schriften, noch lieber durch Ihren persönlichen Umgang
〈...〉
zu bewirken hoffe
.
Karoline Schlegel hatte also das Richtige getroffen, als sie dem verzagten Schelling einen Besuch bei Goethe empfahl mit der Bemerkung, er »liebet Dich«. Vielleicht war es nicht geradezu Liebe, doch Hochachtung gewiß, verbunden mit persönlicher Sympathie für den jungen Philosophen, der sich zur Zeit in einer schweren Krise befand. Goethe holte ihn von Jena aus mit seiner Equipage ab und brachte ihn am 26. Dezember 1800 nach Weimar, wo er bis zum 4. Januar als Gast im Haus am Frauenplan blieb. Die Silvesternacht verbrachte man zusammen mit Schiller bei lebhaften Gesprächen.
Drei Tage später erkrankt Goethe schwer. Es handelt sich um eine Gürtelrose, mit heftigen Entzündungen im Gesicht, am Auge und an anderen Körperpartien, zeitweilige Erblindung, Schwellungen am Hals, Erstickungsanfälle. Das Gehirn wird in Mitleidenschaft gezogen, Bewußtseinstrübung, delirante Erscheinungen und zeitweiliges Koma sind die Folge. Goethe kämpft mit dem Tod. Er habe sich, erzählt er später, in eine Landschaft aufgelöst empfunden, durchaus wach und wahrnehmend, doch ohne Bewußtsein seiner selbst. Schiller ist jeden Tag bei ihm, auch der Herzog kommt häufig. Überhaupt nehmen der Hof und die Bürgerschaft regen
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