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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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er auch wieder von hinnen gegangen. Die Paraden im Tode sind es nicht, was ich liebe.
    An Zelter schreibt er drei Wochen später:
Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins
. Beim Tode des geliebten Freundes stand zum Glück schon ein anderer bereit, Karl Friedrich Zelter, der komponierende Maurermeister aus Berlin. Er wird Goethes wichtigster Freund in der folgenden und letzten Lebensepoche sein.

Zwischenbetrachtung: Amtsschimmel und Pegasus
    Goethe, der genialische Überflieger, geht nach Weimar, so als müßte er den Versuch wagen, sich endlich auf platter Erde zu entwickeln. Indem man lehrt, lernt man, pflegte er später zu sagen. Was aber kann er den jungen Herzog Karl August lehren? Das Regierungsgeschäft kennt er selber nicht. Er weiß nicht, wie man ein Land verwaltet. Er hatte nur seinen Justus Möser gelesen und schätzte dessen liberal-konservative Empfehlungen: Traditionen bewahren, das jeweils Eigentümliche des Landes, die sogenannte Lokalvernunft, entwickeln und behutsam erneuern. Das waren ein paar Grundsätze, mit denen er sich in der neuen Situation zurechtfinden wollte. Doch es kam zunächst anders. Er, der sich eigentlich in realistischer Tüchtigkeit üben wollte, wurde in ein übermütiges Leben hineingezogen. Um den Herzog herum ging es in den ersten Jahren jugendbewegt und stürmisch zu, die Jagden, das Kampieren in den Wäldern, die Mädchen, die Trinkgelage, die Nächte in den Jagdhütten. Goethe immer dabei als Freund und Maître de plaisir; doch als der Ältere auch um Vernunft und Gesittung besorgt. Das erwartete man von ihm bei Hofe. Manche trauten es ihm nicht zu: Der Erzieher sei selbst erziehungsbedürftig, hieß es, und das Genie stecke den Herzog mit seinem genialischen Treiben nur an. Goethe stieß auf Mißtrauen, und es war ihm selbst noch nicht recht klar, welche Rolle er spielen sollte und vor allem wollte.
    Ein bloßer Literat wollte er jedenfalls nicht mehr sein. Daran aber erinnerten ihn die Freunde wie Klinger und Lenz, die ihn in Weimar besuchten und zu denen er Abstand hielt. Das Literatentum mit seiner großsprecherischen Unbekümmertheit war ihm inzwischen verdächtig geworden. Die Poesie ist schön und gut, aber sie kann das Leben nicht leiten. Wer sich nur in der Literatur auskennt, weiß noch zu wenig vom Leben. Die literarisch Aufgeregten waren ihm also zuwider, doch auch von einem salbungsvollen und prätentiösen Dichter wie Klopstock verbat er sich moralische Ermahnungen.
    Goethe ließ die Literatur einstweilen beiseite, wenn er auch seine Briefe, vor allem die an Charlotte von Stein, mit Gedichten spickte, Gedichten aus dem Augenblick und für den Augenblick. In der Hauptsache aber wollte er nun das
Regieren
richtig lernen, bei der Harzreise im Winter auf der schneebedeckten Höhe des Brocken hatte er es sich geschworen. Er stürzte sich in die Amtsgeschäfte. Nach und nach sammelte er in fast allen Ressorts Erfahrungen, vom Straßenbau, über das Schulwesen, die Finanzen bis zum Militär. Er versuchte sich auch in Außenpolitik, wo er die Möglichkeiten erkundete, zwischen den übermächtigen Nachbarn Preußen und Habsburg hindurchzulavieren. Goethe probierte bei seinem ersten und einzigen Berlin-Besuch, wie ihm die Maske des kühlen Diplomaten zu Gesicht stand. Der Bergbau aber war sein liebstes Steckenpferd, darum kümmerte er sich die ersten Jahre mit Leidenschaft, doch ohne ökonomischen Erfolg.
    Bei dieser Tätigkeit erwachte das naturkundliche Interesse. Die Erdgeschichte zog ihn an, er sammelte Steine und Versteinerungen, die Mineralien und die fossilen Überreste, er betrieb anatomische Studien, sammelte Knochen und Skelette.
    Eine Weile lang ging es ganz gut, den Amtsschimmel zu reiten und den Pegasus. Die beiden durften sich nur nicht in die Quere kommen, etwa als er an »Iphigenie« schrieb, während er wegen einer Rekrutenaushebung im Land unterwegs war. Die Idee der Reinheit hatte ihn ergriffen. Reinlich sollten die Bereiche geschieden sein, hier die Kunst dort das tätige Leben. Jeder Bereich hat seine eigene Logik und fordert seine besondere Geschicklichkeit und Hingabe. Die Idee der Reinheit bezieht sich auf die gewissenhafte Erfüllung der Aufgaben, auf das Sachgemäße also, und im Persönlichen hat sie einen asketischen Aspekt: Disziplin, Selbstkontrolle, Verzicht, aufrichtig sein oder schweigen.
    Nach acht, neun Jahren in Weimar bemerkte Goethe, daß er den Forderungen des

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