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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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erforderlich gewesen wäre, um das monumental angelegte Stück
ins Engere
zu ziehen. Denn mit dem »Demetrius«, jener faszinierenden Geschichte eines falschen Zaren im 16. Jahrhundert, hatte Schiller die Einheit des Ortes und der Handlung gänzlich gesprengt; der Riesenraum Eurasiens war Schauplatz einer verwirrenden, noch unübersehbaren Handlung. Einzelne Szenen, die Schiller fertiggestellt hatte, ragten wie aus einer riesigen Schneedecke heraus. Es konnte auch ein Leichentuch sein. Schiller war es bisweilen selbst so vorgekommen.
    Nach Schillers Tod kamen die schönen Frühsommertage, und Goethe saß immer noch in seiner Hinterstube, vertieft in dieses vor Eis und Frost klirrende Winterstück. Er hielt es nicht lange dabei aus. Er brach die Versuche ab. Im Tagebuch gibt es dazu nur leere, weiße Blätter. Sie deuten, heißt es später, den
hohlen Zustand
an, in dem er sich damals befand.
    Mit dem Scheitern des Demetrius-Vorhabens verflüchtigte sich die fiktive Atmosphäre gemeinsamer Arbeit, die ihn noch umhüllte, jetzt erst ging ihm der Tod des Freundes in der ganzen Unwiderruflichkeit auf.
Nun fing er mir erst an zu verwesen
. Es ergriff ihn ein Schmerz, wie er ihn zuvor noch nicht erlebt hatte. Auch fühlte er sich schuldig, so als hätte er den Freund nun endgültig
gepränglos
in die Gruft
eingeschlossen
. Es gab ihm nochmals einen Stich, als er das Manuskript der »Farbenlehre«, das Schiller während seiner letzten Tage studiert hatte, zurückerhielt. Die angestrichenen Stellen machten auf ihn den Eindruck, als wirkte Schillers
Freundschaft vom Totenreiche aus noch fort.
Dieser schien damit noch seine Treue zu beweisen, er selbst aber, so kam es Goethe vor, hatte nicht vermocht, beim Freund über den Tod hinaus noch eine Weile auszuhalten.
    Auch das nächste Vorhaben zu Schillers Gedenken, eine Totenfeier mit szenischen Darstellungen, mißriet. Goethe bat Zelter um eine Musik dazu, der sie ihm auch versprach, aber nicht ans Werk gehen konnte, weil Goethe nur wenige Skizzen zustande brachte. Goethe war wie gelähmt. Zu einem Abschluß brachte er lediglich den »Epilog zu Schillers Glocke«, verfaßt für die Gedenkfeier in Lauchstädt am 10. August 1805. Es wurden einige Szenen aus »Maria Stuart« gespielt, und danach gab es eine szenische Lesung der »Glocke«. Der anschließende »Epilog« vereint den hohen Ton offiziellen Gedenkens mit der Sprache persönlicher Ergriffenheit. Hochpathetisch sind etwa die Verse:
Indessen schritt sein Geist gewaltig fort / Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen, / Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine, / Lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine
. Die Verse über Schillers ansteckenden Enthusiasmus indes sind selbst enthusiastisch und liebevoll:
Nun glühte seine Wange rot und röter / Von jener Jugend, die uns nie verfliegt, / Von jenem Mut, der, früher oder später, / Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt
. Die Schauspielerin Amalia Wolff, die den »Epilog« sprach, erzählte später, wie Goethe sie während der Probe bei einem treffenden Wort unterbrach, ihren Arm ergriff, sich die Augen bedeckte und ausrief:
Ich kann, ich kann den Menschen nicht vergessen!
    Schillers Tod stellte in Goethes Leben eine Zäsur dar. An Zelter schrieb er:
Eigentlich sollte ich eine neue Lebensweise anfangen
, doch dazu sei er wohl schon zu alt. Mit Schiller hatte er so große Pläne geschmiedet. Was hatte man sich nicht alles vorgenommen, das Theater reformieren, die Literaten kritisieren und bessern, die Künstler belehren und überhaupt die Kultur heben und verfeinern. Das alles rückt ihm plötzlich fern.
Ich sehe also jetzt nur jeden Tag unmittelbar vor mich hin, und tue das Nächste ohne an eine weitre Folge zu denken.
    Schiller wird ihm jetzt, mehr als zuvor, zum Maßstab für die Beziehungen zu anderen. Schon der erste Besucher nach Schillers Tod bekam das zu spüren. Der ansonsten von ihm hochgeschätzte Altphilologe Friedrich August Wolf weilte mit seiner Tochter Anfang Juni für zwei Wochen im Haus am Frauenplan. Es gab rege Gespräche, heitere Unterhaltung und einige Belehrung. Wenn sich jedoch Differenzen ergaben – beispielsweise über die innere Einheit der antiken Werke, die Wolfs philologischer Scharfsinn regelmäßig zerpflückte –, wirkten sie bald bedrückend und lähmend. Denn auf seinem Gebiet ließ Wolf nichts gelten, schon gar nicht die Meinung von sogenannten Dilettanten. Da war Schiller doch ganz anders gewesen. Die Differenzen mit ihm waren

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